Spione auf'm Schont
Honeckers
Stasi-Spitzel waren in Münster schwer
aktiv:
Zu Besuch beim
Geheimdienst-Experten Prof. Müller-Engbergs
Schon vor Jahren flog auf, dass ein ex-Stasioffizier Beamte für das NRW-Innenministerium schulte. Der Dozent hatte 18 Jahre an der Ostberliner Humboldt-Uni Studenten bespitzelt und wurde noch kurz vor Mauerfall für sein „hohes politisches Verantwortungsbewusstsein“ dekoriert, bevor er unbesehen vom Land NRW eingestellt wurde.
Doch die Meldung blieb eine Randnotiz, denn die Geschichte der Stasi verursacht bei Leuten, die um 1990 geboren wurden, oft nur Achselzucken. Das wollten die Villa ten Hompel und der Verein „Gegen Vergessen - Für Demokratie“ mit einer Ausstellung ändern: Die Besucher erfuhren, detailreich recherchiert, dass der DDR-Geheimdienst in unserer Stadt recht aktiv war. Was die Stasi ausgerechnet in Münster wollte, weiß Prof. Müller-Engbergs. Der Politologe ging 1989 von der Uni Münster an die FU Berlin und arbeitet seitdem als wissenschaftlicher Referent bei der Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen. Aber der Reihe nach...
Kontrolle ist besser
Ein Merkmal aller Diktaturen ist, dass die Machthaber dem eigenen Volk tief misstrauen. Das führt zu einer geradezu konspirativen Politik: Alles ist geheim, streng geheim, strengstens geheim. Andererseits möchten die Machthaber aber gerne alles über ihre Untertanen wissen. Getreu Lenins Motto „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“, gründete Feliks Dserschinski während der russischen Revolution die erste kommunistische Geheimpolizei Tscheka. Sie verbreitete Angst und Terror - und genau das war auch beabsichtigt.
Nach dem Vorbild der Tscheka bildete die Führung der DDR 1950 ihren eigenen Geheimdienst, das Ministerium für Staatssicherheit, kurz MfS oder Stasi. Feliks Dserschinski wurde zum Namenspatron des Wachregimentes gewählt. Leiter der Stasi war Erich Mielke, der eine erstaunliche Karriere vom Polizistenmörder zum Polizeigeneral machte.
Mielke haut drauf
„Wir müssen alles wissen, Jenossen!“, war seine typische Redewendung. Mielke war primitiv und brutal. Er ließ seine Untergebenen persönlich wissen, wie er mit echten und vermeintlichen Regimegegnern umzugehen gedachte: „Wenn ich schon höre, hinrichten oder nicht hinrichten... alles Käse, Jenossen! Hinrichten, wenn nötig auch ohne Gerichtsurteil!“
Der Stasi-Apparat wucherte uferlos. Zu Spitzenzeiten Anfang der 1980er zählte das MfS rund 90.000 offizielle und rund 200.000 sogenannte „inoffizielle Mitarbeiter“ (Spitzel) und übertraf damit die Quantität der Gestapo im Dritten Reich um ein Vielfaches.
VEB Guck & Horch
Grundsätzlich war jeder DDR-Bürger einer „feindlich-negativen“ Einstellung verdächtig. Daher befand sich die Stasi permanent in nervösem Alarmzustand. Lehrer denunzierten ihre Schüler und umgekehrt; Ehemänner schrieben heimlich Berichte über ihre Frauen oder andersrum. Das „Schild und Schwert der Partei“ war immer in Aktion: Vom heimlichen Öffnen privater Briefe über Wasserdampf bis zur eiskalten Ermordung missliebiger Kritiker.
Manchmal waren die auffällig-unauffälligen Eckensteher in den typischen grauen Anoraks unfreiwillig komisch. Der Dissident Wolf Biermann spottete über seine Beschatter: „Menschlich fühl' ich mich verbunden, mit den armen Stasi-Hunden, die bei Schnee und Regengüssen, mühsam auf mich achten müssen. Die ein Mikrophon einbauten, um zu hören all die lauten Lieder, Witze, leisen Flüche, auf dem Klo und in der Küche. Brüder von der Sicherheit, Ihr allein kennt all mein Leid!“
3.000 NRW-Spione
Manchmal war die Stasi aber ganz und gar nicht lächerlich, etwa wenn „feindlich-negative“ Personen zur Überwachung radioaktiv markiert wurden, oder man unerwünschte Privatunternehmer kurzerhand fingierter Delikte „überführte“ und inhaftierte, um ihr Vermögen beschlagnahmen zu können.
Doch die Stasi war nicht nur in der DDR aktiv: Auch in der BRD spitzelten Mielkes „Jenossen“. Die Auslandsspione der Stasi interessierten sich für Wissenschaft und Technik, Politik und Militär, Medien und Gesellschaft der BRD. Ihr bevorzugter Tummelplatz war Nordrhein-Westfalen. Schon deshalb, weil die damalige Bundeshauptstadt Bonn in NRW lag. Ein Viertel aller DDR-Spione war in NRW eingesetzt - bis 1989 insgesamt 3.000 Personen!
Der jecke Hermann
Industriebetriebe im Ruhrgebiet, Unis und Gewerkschaften, ja sogar der rheinische Karneval wurden von der Stasi „aufgeklärt“: 1988 sollte sich Agent „Hermann“ in einen Düsseldorfer Karnevalsverein einschleusen und dort Kontakte knüpfen. Hermann warb langwierig einen zweiten Agenten an, der den Rosenmontagszug konspirativ filmen sollte - den die Stasi ebenso live im Fernsehen verfolgen konnte...
Das erotische Geplauder am Autotelefon zwischen dem SPD-Politiker Friedhelm Farthmann und seiner Geliebten sorgte bei den Abhörexperten der Stasi Mitte der 1980er für heiße Ohren. Stark interessierten sich die Agenten für das politische Spektrum der BRD. Besonders spannend fand Ostberlin die Bürgerinitiativen, die in den 80ern aus dem Boden schossen. Laut Stasi-Erkenntnis bestanden diese „vorwiegend aus Personen der Fachbereiche Theologie und Pädagogik.“
Die Münster-Spitzel
Aber auch Münsteraner waren Zielobjekte der Stasi. Münster stand in NRW an fünfter Stelle der Agententätigkeit. Während der 1980er waren 16 DDR-Agenten hier aktiv! Einer davon, „IM Horst“, bespitzelte im Generalvikariat den Bischof, ein anderer spionierte gegenüber im Regierungspräsidium am Domplatz.
Bestens informiert war die Leitstelle in Leipzig über Strategien des I. Bundeswehr-Korps am Schlossplatz, sowie über Manöver im Panzerübungsgelände Dorbaum. Der gesamte Telefonverkehr der Polizeischule Hiltrup wurde mitgehört und aufgezeichnet. Wer vor 1989 je dort angerufen hat, kann heute noch auf den Bändern im Stasi-Archiv seine Stimme hören.
Natürlich war auch das Polizeipräsidium am Friesenring vollständig aufgeklärt, sogar der Polizeifunk bei Personenkontrollen wurde mitgeschnitten. Wer ohne Licht am Fahrrad auf der Straße kontrolliert wurde, ahnte nicht, dass der Streifenpolizist seine Personalien nicht nur ans Präsidium funkte, sondern unfreiwillig auch gleich an die Stasi-Mithörer. Die Informationen wurden auf Möglichkeiten ausgewertet, weitere Münsteraner für eine Zusammenarbeit mit der Stasi zu gewinnen.
Stasi an der WWU
Auch in der UB suchten Mielkes Mitarbeiter nach Studis, die sich als Agenten anwerben ließen. Allerdings mit enttäuschendem Erfolg. Aber auch so wurden über etliche Geisteswissenschaftler der Uni Münster fleißig Dossiers angelegt.
Die UB war eine Lieblingsquelle der „IM", weil ein Angestellter besonders redselig war. Nach der Pensionierung des plauderfreudigen Mitarbeiters versiegte die Quelle sehr zum Verdruss der Spione. Ebenfalls waren Münsters Linke für die Stasi interessant: Von Anti-Atom-Gruppen bis zu Feminismusreferaten war man in Leipzig über Münsters Alternativszene bestens im Bild.
Auf'm Schont...
Aufmerksamkeit widmete die Stasi auch dem Münsteraner Dialekt: Aus abgehörten Telefongesprächen wurde eine Tondokumentation erstellt, die typische münsteraner Aussprache mit Platt- und Masematte-Worten (Ich hab' Duaast, Mutter Chottes, Mach die Tüar los, Wo ist der Schont? etc.) festhält, um im Zweifel unbekannte Zielpersonen als Münsteraner identifizieren zu können.
Carsten Krystofiak
(aus Ultimo Münster 9/2011)