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KULTURPROGRAMM & MEHR

Münsters Zombie-Forscher

Dein Herr, der Wurm

Münsters Zombie-Forscher:
Wie Viren, Mikroben & Co. ihre Wirte fernsteuern.

Zu Besuch in den Alptraum-Welten des Dr. Roman Stilling

Der Science-Slam hat sich schon lange in Münsters Kulturszene etabliert. Die Mischung aus kauziger Unterhaltung und verblüffendem Lehrstoff bietet den Zuschauern einen echten Mehrwert – hamma wieder was g'lernt! Bei der letzten Veranstaltung im Skaters Palace siegte Dr. Roman Stilling mit seinem 10-Minuten-Vortrag: „Master of Puppets. Wie die Evolution Zombies züchtet“. Das klingt gruselig – und ist es auch. Echt evil! Der 28jährige Neurobiologe, der in Münster studierte, ließ sich von seinem Lieblingsfilm „Alien“ inspirieren. Er erforschte, wie kleine Parasiten große Wirte gegen deren Willen fremdsteuern.

Teuflische Schnorrer

Der Doc entführte die Zuschauer im Palace ins Kuriositätenkabinett der Evolution. Doch zunächst ein paar verdichtete Grundkenntnisse...

Die Wissenschaft unterscheidet fünf verschiedene Grundformen des Zusammenlebens verschiedener Arten.

1. Die Symbiose. Hier geht’s friedlich zu, beide haben einen Vorteil, die perfekte WG z.B. von Hai und Putzerfisch.

2. Der Kommensalismus. Einer profitiert und dem anderen ist es egal. Was kümmert's das Nilpferd, wenn Vögel auf seinem Rücken herumhocken?

3. Das Räuber-Beute-Verhältnis. Genauso simpel, aber für einen von beiden ohne Happy End.

4. Die Rivalität. Kommt davon, wenn beide von denselben Ressourcen leben. Also zum Beispiel, wenn die WG-Kumpels scharf auf deine TK-Pizza im Kühlschrank sind.

Und die 5. Form? Das ist der Parasitismus, wenn einer auf Kosten des anderen lebt. Und einige dieser Schnorrer haben geradezu teuflisch-geniale Wege feindlicher Übernahmen entwickelt.

Rasende Evolution

Der Parasitismus ist nämlich eine der stärksten Triebkräfte der Evolution, es kommt zu einem Wettrüsten zwischen Parasit und Wirt – beide müssen sich ständig weiterentwickeln, um den anderen auszutricksen. Doch das gelingt weder dem einen noch dem anderen. Sie erreichen lediglich, dass keine Art endgültig die Oberhand gewinnt. Rasender Stillstand, sozusagen. Dafür haben die Wissenschaftler die Bezeichnung „Red Queen-Hypothese“ erdacht – nach der roten Königin aus Alice im Wunderland, die ständig laufen muss, um auf der Stelle zu bleiben. Frei nach dem Motto aus Jurassic Park: „Das Leben findet einen Weg“, führt dies zu bizarren Lebenszyklen.

Selbstmörder-Grillen

Stillings erstes Ekel-Beispiel: Ein bestimmter Leber-Egel. Dessen Problem: Er will in die Kuh. Kühe fressen aber keine Leber-Egel, sondern Grashalme, die der kleine Kerl nicht ohne fremde Hilfe erklimmen könnte. Darum lässt er sich von einer Ameise fressen. Sodann kapert er ihr Gehirn und lässt es die Ameise einen Grashalm bis zur Spitze hinaufklettern und sich dort festhalten.

Der nächste Fall ist noch fieser. „Mein Lieblingsbeispiel!“, lacht Stilling. Der Wurm lebt in Heuschrecken, kann sich aber nur im Wasser vermehren. Da Heuschrecken aber keine Fische, sondern wasserscheu sind, schickt sie der Wurm in den Selbstmord. Infizierte Heuschrecken steuern roboterhaft das nächste Gewässer an, stürzen sich hinein und ertrinken. Der Wurm ist in seinem Element und spult sich aus dem Körper der Grille ab. Iiiiih!

Schaum vorm Maul

Neurobiologen glauben übrigens, dass auch die Tollwut ein Beispiel für unfreiwillige Fernsteuerung ist. Neben den bekannten Symptomen tritt bei infizierten Tieren oder Menschen auch eine Hydrophobie, also Wasserscheu, auf. Dadurch dass der/die Tollwütige nichts mehr trinkt und sich nicht mehr wäscht, steigt die Konzentration der Viren im Schaum vorm Maul. Die gesteigerte Aggressivität führt schließlich zum Biss und damit zur Übertragung auf den nächsten Wirt. (Auch in der Natur gilt: Wer nichts wird, wird Wirt.)

Fatal Attraction

Bedeutend erfolgreicher als Tollwuterreger ist die Toxoplasmose. Etwa ein Drittel der Weltbevölkerung trägt Toxoplasma in ihrem Hirn mit sich herum, ohne Symptome zu bemerken. Stilling: „Jetzt ist aber das Komische, dass Toxoplasma eigentlich gar nicht so gerne in den Menschen will, sondern lieber in die Katze. Wie kommt es dahin? Bei infizierten Mäusen hat man festgestellt, dass diese ihre natürliche Scheu vor Katzen ablegen und den selbstmörderischen Kontakt mit Katzen suchen!“ Das Phänomen nennen die Forscher „Fatal Attraction“. Bei Menschen führt die Infektion übrigens zu einem verminderten Fahrvermögen im Straßenverkehr.

Sex & Saugwürmer

Stilling hat seine eigene Theorie: „Wenn man sich das Genom, also die Gesamtheit der Gene als Buch mit Lesezeichen vorstellt oder als Schaltpult vorstellt, dann spielen die Parasiten an diesen Schaltern herum und schalten Gene ein oder aus, die eben nicht an bzw. aus sein sollten. Bei vielen Krankheiten spielen solche Manipulationen eine Rolle, z.B. bei Alzheimer oder Schizophrenie.

Es gibt noch weitere Beispiele: Der Darmpilz Candida albicans steuert Menschen fern! Er sitzt im Darm und ernährt sich von Zucker. Kommt nicht genug Zucker an, sendet er Botenstoffe ans Gehirn, die Heißhunger auf Süßigkeiten auslösen. Wie mies!

Das Syphilis-Bakterium, das bei sexuellen Kontakten übertragen wird, sorgt zum Beispiel dafür, dass sein Wirt sexuell aktiver wird, um so seine Weiterverbreitung zu sichern. Und der Saugwurm Euhaplorchis californiensis manipuliert Fische so, dass sie an die Oberfläche schwimmen und dort so lange mit Zappeln auf sich aufmerksam machen, bis der Endwirt, ein Vogel, sie bemerkt – und schnappt.

Mikroben im Hirn

Wie kommen die Viecher überhaupt in die Schaltzentrale? Sie kapern ausgerechnet Zellen des Immunsystems, verwandeln diese in „Zombies“ und steuern sie mit Proteinsignalen zielgerichtet durch die Blutgefäße ins Gehirn. Der Zoologe Joachim Kurz koordiniert an der Uni Münster das Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Untersuchung der gemeinsamen Evolution von Parasiten und ihren Wirten. Schon seit den 1930er Jahren vermuten einzelne Forscher die Zusammenhänge. Doch für viele Wissenschaftler ist das alles noch schwer zu glauben. Der Mensch, manipuliert von einer Mikrobe?

Doch Kurtz ist sich sicher: „Angesichts der Millionen Jahre Evolution sind solche schier unglaublichen Anpassungen gar nicht überraschend“, meint er, „Parasiten wie Toxoplasma unterliegen aufgrund ihrer unheimlich komplizierten Übertragungswege einem sehr starken Selektionsdruck.“

Schlaft schön...

Andere Forscher der Uni Münster bewiesen, wie ein Bakterium sein Überleben in Insekten sicherstellt: Es manipuliert die Fortpflanzung seiner Wirte in großem Stil: Der Schmarotzer verändert die Spermien von Wespen so, dass nur bereits infizierte Eizellen befruchtet werden; die gesunden sterben ab.

Alle diese parasitären Methoden haben eines gemeinsam: Der Kleine manipuliert den Großen. Roman schloss seinen Vortrag mit der Bemerkung: „Ich lass euch dann mal allein mit euren Alpträumen...“

Carsten Krystofiak

(aus Ultimo Münster 16/2012)