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Der unbekannte Stauffenberg-Verschwörer

Das Telefon blieb stumm...

Der unbekannte Stauffenberg-Verschwörer:
Die Lebensgeschichte des Münsteraners Paulus van Husen
ist spannend wie ein Krimi

Kürzlich war der 75. Jahrestag des Attentats auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944. Zu den Verschwörern gegen Hitler gehörte auch der Münsteraner Paulus van Husen. Wie sich der Wehrmachtsjurist nach und nach radikalisierte und wie er der Hinrichtungswelle nach dem gescheiterten Putsch entkam, erzählen rund tausend Seiten persönlicher Notizen, die sein Großneffe zwanzig Jahre nach van Husens Tod in dessen Haus an der Anette-Allee fand. Die Story ist spannend wie ein Krimi...

Auf Kollisionskurs

Paulus wächst 1891 auf der Wasserburg Horst-Emscher beim damals noch ländlichen Gladbeck auf. Die wichtigste Erziehungslektion: „Wenn man abends zu viel Wein trinkt, muss man die leeren Flaschen selbst in den Keller bringen, weil es das Personal nichts angeht, wie viel man trinkt.

Dann kauft die Familie ein Haus auf der Warendorfer Straße nahe der Piusallee und zieht nach Münster. 1900 kommt Paulus aufs Paulinum und erlebt den Kaiserbesuch 1907. Zwei Jahre vor dem Ersten Weltkrieg macht er sein Jura-Examen und tritt in des Kaisers Kavallerie ein. Er schreibt: „Junge Leute gingen damals in Münster fast jeden Abend tanzen. Dann kommt die Mobilmachung! Er hat Glück, überlebt und ist Weihnachten 1918 wieder zuhause.

Als Landrat geht er nach Oberschlesien. Er erinnert sich an Gelage bei polnischen Industriemagnaten in Kattowitz: „Nachteilig war nur, wenn die Chauffeure mitfeierten - dann musste ich den Wagen selbst heimfahren, mit mindestens zwei Promille. Als Diplomat in Polen ist er nach dem Genfer Abkommen für den Schutz der deutschen und auch der jüdischen Minderheit zuständig. Damit gerät er ab 1933 auf Kollisionskurs mit den Nationalsozialisten. 1934 verliert er sein Amt.

Unter Parteibonzen

Ein Sekretär von Göring, der ebenfalls Münsteraner ist, bringt ihn beim Berliner Verwaltungsgericht unter. Hier tragen die Kollegen schon alle das Parteiabzeichen. Er verweigert den Parteieintritt - und tritt stattdessen dem Kirchenvorstand seiner Gemeinde bei. Das hätte leicht einen Besuch im Keller der Prinz-Albrecht-Straße 7-8 zur Folge haben können, Deutschlands gefürchtetster Adresse - der Gestapo-Zentrale.

Bitterböse Anekdote am Rande: Einer seiner Nachbarn ist reicher polnischer Jude. Sein deutscher Chauffeur tritt in die SS ein, denkt aber nicht daran, den gut bezahlten Fahrerjob zu kündigen. Seinem Chef ist das sogar recht: Er weist den Fahrer an, die schwarze Uniform auch als Chauffeur zu tragen, weil ihn das vor SA-Überfällen schützt.

Morbide Clowns!

Das Dritte Reich kotzt van Husen an: Die stupiden Rituale, die blödsinnigen Sprechblasen, die gleichgeschaltete Presse. Er fragt sich: „Bin ich verrückt - oder die anderen? Er wohnt in einer Etagenwohnung „mit Portiersdrachen, der die Hausbewohner bespitzelt. Jeder weiß, wie er zu reden hat, um nicht anzuecken. Husen provoziert trotzdem, wird Dissident. Er nennt SS-Himmler ein „subalternes Männchen und Göring den „morbiden Clown.

Nach Kriegsausbruch geht van Husen als Jurist zum Führungsstab der Wehrmacht und ist mit so kriegswichtigen Dingen beschäftigt, wie der Formulierung von Gesetzesvorgaben zur Enteignung aller privaten Sportboote für die geplante Invasion Englands. Doch das Wichtigste: Hier ist er endlich dem Zugriff der NS-Partei entzogen. Er schreibt: „Unter dem Firmenschild ,Wehrmachtsführungsstab' führte ich einen privaten Partisanenkrieg gegen die NSDAP. Zum Beispiel sabotiert er mit dem aus Münster stammenden Bischof Wienken die Beschlagnahme von Klöstern durch die SS.

Die Zeit verrinnt

Mit seiner Nähe zur Führung wird er nun für die Widerstandsgruppe Kreisauer Kreis zu einer interessanten Figur. Nach der gescheiterten „September-Verschwörung von 1938 hatte die Untergrund-Opposition lange gebraucht, um sich neu aufzustellen. 1940 wäre ein Anschlag erfolglos gewesen, weil Hitler nach dem Sieg über Frankreich gefeiert wurde. Ein weiteres Bombenattentat in Hitlers Flugzeug war ebenfalls fehlgeschlagen. Die Gruppe muss immer vorsichtiger agieren, um keinen Verdacht zu erwecken. Doch die Zeit verrinnt.

Das Attentat

Husen wird in das weit verzweigte Netzwerk eingeschleust. In wechselnden Wohnungen wird der Tag X geplant. Allein die Zusammensetzung der Gruppe aus Militärs, Sozialdemokraten, Katholiken und Protestanten wäre hochverdächtig und im Verhör nicht plausibel zu erklären gewesen. Am 4. Juli wird Mitverschwörer Julius Leber verhaftet, die Gestapo ist jetzt auf ihrer Spur. Am 14. Juli wird das Attentat beschlossen. Die Wahl fällt erst auf Oberst Meichsner, doch der ist körperlich zu fertig, spritzt sich Amphetamin. Stauffenberg macht es! In Münster weiht van Husen auch Bischof Galen in den Plan ein. Der sagt zu ihm: „Ich bete, dass Ihr Kopf drauf bleibt.

Am 20. Juli 1944 wartet van Husen mit schweißnassen Händen auf den Anruf, der ihm mitteilt, dass Hitler tot ist und auf das Auto, das ihn dann zur Wehrmachtszentrale im Bendlerblock bringen soll. Doch das Telefon bleibt stumm und der Wagen kommt nicht. Stattdessen steht er nun auf der Fahndungsliste.

Übrigens hatten die Verschwörer den Freiherrn Rudolf von Twickel aus Havixbeck als provisorischen Landesverwalter von Westfalen vorgesehen und ein entsprechendes Fernschreiben an das Wehrkreiskommando Münster geschickt. Twickels Riesenglück war, dass es jemand geistesgegenwärtig vernichtete, bevor es die Gestapo in die Hände bekam!

Freislers Ende

Erst Mitte Oktober wird van Husen als letzter verhaftet und kommt ins KZ Ravensbrück. Nach Wochen das erste Verhör: Die erste Frage: „Wissen Sie, was eine ,Sonderbehandlung' ist? Er wird misshandelt und verhungert fast. Doch sein Vorteil: Er kann jetzt alle Schuld auf bereits Tote schieben. Trotzdem lautet die Anklage Hochverrat, die Fahrkarte zum Schafott. Zur Verhandlung wird er nach Berlin überstellt.

Doch dann zerstört eine Bombe den Volksgerichtshof - und tötet den verhassten Blutrichter Freisler. Husen gewinnt damit wertvolle Zeit, denn in dem Chaos steht der Gerichtsbetrieb still. Am 19. April - am Vorabend von Hitlers letztem Geburtstag - dann das Urteil: drei Jahre Zuchthaus. Es werden nur sechs Tage - dann sind die Russen da! Die Rotarmisten befreien ihn, doch weil er in seinem Zivilanzug flieht, greifen ihn andere Russen auf, erklären: „Du General! - und schlagen ihn halbtot.

War is over...

Nach dem Krieg wurde Paulus van Husen Mitbegründer der CDU, Mitarbeiter der amerikanischen Militärregierung und schließlich auf Betreiben des Münsteraner Ministers Amelunxen Präsident des Verfassungsgerichtes. Das Rennen um Adenauers Staatssekretärsposten im Auswärtigen Amt machte jedoch ein anderer - sonst würde man heute wohl von der „Husen-Doktrin, statt der „Hallstein-Doktrin sprechen. 1971 starb er in Münster.

Carsten Krystofiak

Wer die ganze Geschichte ausführlich erfahren will, liest hier weiter:
„Als der Wagen nicht kam“ von Manfred Lütz/Paulus van Husen, Herder-Verlag 2019, 384 S., als Druck und E-Buch.

(aus Ultimo Münster 16/2019)