Das Haus Frauenstraße 24 hat eine besondere Geschichte. Erbaut wurde es 1905, und 1943 blieb es wie durch ein Wunder von den Bomben verschont. Doch seine spezielle Story begann 1973 - vor 50 Jahren. Damals wurde das Haus mit der schönen Jugendstilfassade durch Besetzung vor dem Abriss gerettet.
Es war nicht die erste und letzte Hausbesetzung in Münster, aber die symbolträchtigste. Anlässlich des Jubiläums erscheint nun eine üppige Buchchronik, die uns in die wilde Zeit der Siebziger und Achtziger Jahre entführt und erzählt, wie die „F24“ zu einer Ikone wurde, zum Real Estate der Münsteraner Alternativszene. Wir haben die 350 Seiten etwas gestrafft...
Adé? Denkste!
1971: In der DDR kommt Erich Honecker an die Macht, die „Baader-Meinhof“-Terroristen halten Westdeutschland in Atem, Tony Marshall singt „Schöne Maid“ und Münster ist aus dem Häuschen, weil die holländische Königin Juliana zu Besuch kommt.
Da berichtet die Münstersche Zeitung über den baldigen Abbruch des Hauses Frauenstraße 24 („Adé, du altes Haus“) und stellt die Pläne für einen gesichtslosen Eigentumswohnungskomplex aus Beton vor. Damit beginnt ein echter Krimi...
Der Makler-Hool
Die Not auf Münsters Wohnungsmarkt trifft Studis seinerzeit mit voller Härte: Manche müssen sogar in Zelten vor dem Schloss kampieren. Doch im Rathaus kann man keine Wohnungsnot erkennen, schließlich haben alle Ratsherren eine Wohnung.
Dann wird bekannt, dass der Makler Stürmer eine ganze Reihe von Altbauten in der ganzen Stadt gekauft, robust „entmietet“ und vorsätzlich demoliert hat, um sie unbewohnbar zu machen. Die Abbruchgenehmigungen erhielt er danach wie geschmiert.
Doch nun erntet er Widerstand: Die Mieter organisieren sich und informieren an Infotischen in der Fußgängerzone Passanten über die Vorgänge. Marxistische Hochschulgruppen wie der SPD-nahe SHB, der MSB Spartakus oder auch die aufmüpfig-liberalen Jungdemokraten absorbieren den Protest und geben ihm einen politischen Anstrich. Die damals recht umtriebigen Mao-Politsekten waren allerdings bei den Besetzern eher nicht willkommen und wurden als „Chaoten“ und „Spinner“ gedisst.
Prost und tschüss...
Jetzt geschieht etwas Seltsames: Durch einen geheimen Kanal ins Polizeipräsidium erfahren die Protestler den Termin des bevorstehenden Abbruchs. Am 4. Oktober 1973 kommen sie den Baggern mit der Besetzung des Hauses zuvor, ermutigt und inspiriert durch die Besetzung des Eckhauses Steinfurter Straße/Grevener Straße im Jahr zuvor - eine der ersten Hausbesetzungen der Bundesrepublik! Den ersten Versuch Stürmers, mit einem Trupp Bauarbeiter aufzukreuzen, die das Haus demolieren und die „Gammler“ rauswerfen sollen, vereiteln die Besetzer sehr geschickt: Sie spendieren den Malochern einen Kasten Pils...
Oha, der Bischof
Die Studis erhalten sogar unerwartet eine öffentliche Solidaritätserklärung von Münsters Bischof! Der schreibt persönlich an den Oberbürgermeister, setzt sich für die Legalisierung der Besetzung ein. Zudem bietet er seitens des Bistums 100.000 DM Zuschuss zur Instandsetzung „dieses und ähnlicher Häuser für wohnungslose Studenten“ an.
Da die meisten Besetzer dem linken bis ganz linken Uni-Milieu angehören, ist ihnen das Kirchenlob etwas peinlich. Doch auch konservative Bürger, die entsetzt sind vom architektonischen Vandalismus dieser Zeit, drücken den jungen Leuten die Daumen und manch einer spendiert ne Kiste Bier oder Renovierungsmaterial. Eine Sargtischlerei stiftet Eichenpaneele für die Kneipenwände.
Makler Stürmer dagegen läuft Amok und versucht es mit Schlägertrupps und Sabotage - erfolglos. Stürmer wie seine späteren Eigentumsnachfolger treten als Rambo-Prolls auf und brüsten sich öffentlich mit ihren guten Kontakten zur CDU-Ratsfraktion. Das veranlasst die Partei jedoch, auf Distanz zu gehen, weil man einen Imageschaden fürchtet. Stattdessen trifft sich ein Besetzer heimlich mit CDU-Prominenten, um Möglichkeiten einer politischen Lösung zu sondieren.
Der Gas-Anschlag
Als Stürmer 1974 pleitegeht, wandert das Haus durch mehrere Hände. Nun beginnt eine juristische Odyssee, denn die Abbruchgenehmigung steht weiterhin im Raum. Währenddessen drehen Unbekannte eines Nachts mit Gewalt den Absperrhahn der Gasleitung im Keller auf. Ein Bewohner bemerkt zufällig den Gasgeruch und alarmiert die sechzig Schlafenden im Haus!
Erst 1980 wird die Abrissgenehmigung annulliert. Nicht zuletzt durch die Manöver äußerst fähiger Rechtsanwälte auf Seiten der Besetzer. Doch noch immer gibt es keine regulären Mietverträge. Das Tauziehen um einen Ankauf des Gebäudes geht noch zwei Jahre weiter. Als es Mitte 1981 endlich soweit ist, endet die achtjährige Besetzung und damit eine der längsten in Westdeutschland.
Party um die Uhr
Da ist das Haus mit der Stuckfassade längst ein Politikum: Parteienvertreter schauen gerne mal zum „Tag der offenen Tür“ rein, der WDR berichtet live, beim Soli-Straßenfest tritt der junge Götz Alsmann auf. Längst nicht für alle früheren Besetzer reicht nun der Wohnraum, aber viele Studis profitieren fürs Leben von den handwerklichen Herausforderungen der Renovierungsarbeiten. Zum Studieren sind die Wohnungen ohnehin eher ungeeignet - wegen des Lautstärkepegels der legendären F24-Hausparties, die kein WG-Zimmer verschonen.
Die Bedrohung durch eine Räumung ist nun endlich gebannt, dafür sind die Bewohner anderen Plagen ausgesetzt, etwa dem unbeliebten Spülplan, über Nacht geplünderten Kühlschränken, oder Mitwohnis, die vor lauter Polit-Plenum vergessen haben, Abendessen zu kochen...
Hallo, Touris!
Heute gehört die Immobilie der städtischen Tochter Wohn- und Stadtbau. Für viele Erstis ist das Haus nur ein Wohnhaus mit netter Kneipe. Sie hören von der Geschichte des Gebäudes erst, wenn Touri-Gruppen bei einer Stadtführung davor stehenbleiben. Auch beim Tag des offenen Denkmals stand die „F24“ auf dem Programm. Von der ersten Besetzergeneration, die der Maler Gerd Meyerratken auf dem Wandgemälde in der Kneipe verewigte, sind viele bereits verstorben.
Etliche erhaltenswerte Jugendstil-Altbauten, die den Bombenkrieg überstanden hatten, sind damals einer „zweiten Zerstörungswelle“ durch Makler und Bauherren auf Betontrip zum Opfer gefallen, besonders im Kreuzviertel. Gut, dass die Frauenstraße 24 überlebt hat. Die undichte Stelle bei der Polizei, durch die die Bewohner vor der Räumung gewarnt wurden, ist nie enttarnt worden...
Carsten Krystofiak
Hier gibt's das alles zum Nachlesen, mit vielen
historischen Fotos:
„Frauenstraße 24 - Geschichte einer erfolgreichen Besetzung“.
Unrast Verlag Münster 2023, 352 S. mit vielen Abb., 19,80
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