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KULTURPROGRAMM & MEHR

Der J-Pop-Tourmanager

Feenstaub & Undä Kakeeh

Münsters Musikmanager Steff Astan überlebte
zwischen »Sushi & Stromgitarre« 14 irre Jahre als Tourmanager
für japanische Visual Kei- und J-Rock-Bands

Steff Astan ist laut Selbstzuschreibung ein „200 Zentimeter mal 108 Kilogramm schwarz gekleideter Westfalenproll“. 2004 veranstaltete er im Club Cascade im alten Hauptbahnhof in Münster ein Konzert mit einer Band aus Japan. Das hatte gravierende Folgen für sein weiteres Leben: Die nächsten 14 Jahre verbrachte er mit asiatischen Musikern auf Tourneen quer durch Deutschland und Europa. Darüber hat er jetzt ein Buch geschrieben, in das wir reingeschaut haben. Er sagt: „Ich habe keine Ahnung, was die Künstler von meiner dörflich-westfälischen Lebensart aufgenommen haben. Ich persönlich habe jedoch viele meiner Irrtümer über die asiatische Kultur korrigieren können.“ Das interessierte uns.

Do it yourself...

Die Anfänge waren eher amateurhaft. Astan erzählt: „Ich habe nie beigebracht bekommen, Konzerte zu organisieren, eine Schallplattenfirma zu betreiben, Videoclips zu drehen, oder ein Musikmagazin herauszugeben. Ich habe das alles gemacht, weil ich es wollte. Nicht, weil ich besonders geeignet dafür war...“ Seine Kindheit im Münsterland betrachtet er im Nachhinein als beschauliche Idylle: „Die Mütter trugen geblümte Perlonkittel. Die Blümchen tragen die Mütter von heute als Tattoo.“ Es gab noch kein Internet, kaum zu glauben, und eine seltsame Art von Musik wurde zur Liebe seines Lebens: Fehlfarben, Bauhaus, Element Of Crime, Dead Kennedys, PIL, Nick Cave, etc. Hauptsache düster-melancholisch. Schwarz die Kleidung, schwarz die Lebenseinstellung und damit ist nicht katholisch gemeint. 1994 gründete er ein Label plus Konzertagentur und brachte das Musikmagazin Astan an die Kioske.

Kulturschock Japan

Zum Japan-Rock kam er durch Zufall. Alles was er von japanischer Kultur kannte, waren Godzilla, Die sieben Samurai und von Sushi hatte er auch schon mal gehört. Also ungefähr das, was manche Asiaten über Deutschland denken: Dass alle Deutschen in Dirndl und Lederhose herumlaufen und sich von Bier und Weißwurst ernähren. Schnell lernte er vor allem die „Dont's“ im Umgang mit Japanern: Erstens, nie einen Japaner anfassen, vor allem nicht am Kopf. Zweitens, nie einen Japaner auf Kriegsverbrechen vor 1945 ansprechen. Dabei muss man nicht fürchten, Vorhaltungen zu ernten, aber: „Sie werden dich freundlich anlächeln - und hassen!“

Der größte Kulturschock für Asiaten ist deutsche Direktheit: Ein klares „Nein“ wird man von keinem Japaner hören. Die Kommunikation wird von Konfliktvermeidung beherrscht. Und: Geschenke von Japanern nicht sofort öffnen, das gilt als gierig! Aber zurück zur Geschichte...

Kawaii, kawaii

Das zehnjährige Jubiläum seines Musikmagazins wollte Steff mit einem kleinen Festival in Münster feiern. Headliner war das japanische Industrial-Duo Eve Of Destiny, die er zuvor für sein Fanzine interviewt hatte. Plötzlich saßen auf der Dachterrasse des Cascade-Clubs rund fünfhundert minderjährige Mädchen aus ganz Europa, die beim Konzert völlig ausrasteten. Für Sänger Haru Ash und Gitarrist Közi nichts Neues - in Japan waren sie schon Superstars.

Steff war begeistert: Während die Gothicszene hier, freundlich gesagt, kreativ stagnierte, empfand er die japanischen Bands als frisch und anders. Der neue Style heißt „Visual Kei“ oder schlicht VK. Das Besondere: Es ist keine spezifische Schublade wie Rock oder Punk - VK-Bands können musikalisch alles, vom Teenie-Pop bis zum Düster-Metal. Wie der Name schon sagt, geht es vor allem um die optische Präsentation mit Kostümen zwischen Barockfundus und Fetischmode, gemischt mit traditioneller Kultur Japans. Die Zielgruppe ist klar definiert: Junge Mädchen zwischen 10 und 20. Hauptsache, die Jungs auf der Bühne sind „kawaii“ - niedlich.

Das Image der VK-Musiker ist komplett künstlich und wird vom Management vorgeschrieben. Keine europäische Indieband würde sich das gefallen lassen, doch in Japan hat das Sich-unterordnen unter Autoritäten einen höheren Stellenwert als Individualität. Eine eigene Identität ist unerwünscht! Viele VK-Musiker dienen sich vom Roadie zum Bühnenstar hoch.

Licht & Sauerkraut

Durch den Erfolg übermütig geworden, organisierte Steff weitere Japan-Rock-Konzerte mit neuen Bands, inkl. Cosplay-Wettbewerbe. Über eine Webseite lernte er einen verrückten VK-Fan namens Flori kennen: „Er suchte jemanden, der blöd genug war, seine Träume zu finanzieren. Er fand mich...“ Steff holte das Duo Celestia le Ciel/Merveille Magique nach Europa - zwei Bands aus identischen Mitgliedern. Die „weiße“ Band verkörperte die gute Seite des Lichts, die andere die düstere Welt der Finsternis. Dann die erste Panne: Als gute Münsterländer Gastgeber fuhren Steff und seine Schwester wunschgemäß „typisch deutsches Essen“ auf: Schweinebraten, Kartoffelknödel, Sauerkraut...

Die Mägen der Gäste waren heillos überfordert, aber weil Japaner zu höflich sind um abzulehnen, kämpften sie mutig dagegen an. Steff sah die Katastrophe kommen und hatte die rettende Idee: „Leider habe ich vergessen, Hundefutter zu kaufen. Könntet ihr einen Teil des Essens an meine Hunde verteilen?“ „Es schmeckt uns sehr gut, aber die Hunde müssen natürlich gefüttert werden“, antwortete Sänger Lleu schwer erleichtert.

Schwitz = Stink?

Zu den seltsamsten Lektionen über Japaner zählte diese: Ein Musiker, der gerade von der Bühne kommt, ist klatschnass geschwitzt. Der Europäer stinkt dann wie ein Ziegenbock. Beim Japaner - nix. Sie stinken einfach nicht. Das galt lange Zeit als unbewiesenes Gerücht. Bis in 2007 Wissenschaftler der Beiersdorf AG in Hamburg folgendes herausfanden: Die geruchsbildenden Schweißbestandteile werden von dem Transportprotein ABCC11 an die Hautoberfläche befördert und dort von Bakterien zerlegt. Dabei entstehen die Stoffe, die den typisch fiesen Geruch ausmachen. Bei nur wenigen Asiaten ist das Transportprotein ABCC11 aktiv, weshalb sie kaum Körpergeruch aufweisen. Für Japaner sind schwitzende Europäer kein schönes Duft-Erlebnis.

Schlampige Würste

Und dann waren da noch: Die Fans, die vergessene Lufthansa-Einwegzahnbürsten der Band auf Ebay für irre Summen ersteigerten, die Mädels, die Sänger Kenka von der Bühne zogen und ihm die Textilien vom Leib rissen, und die Japanerin, die unbedingt wissen wollte, was „Dogshit“ auf Deutsch heißt und fortwährend amüsiert „Unndä kakeeh!“ johlte und als typisch deutsches Mitbringsel für ihre Mutter zwei XL-Flaschen Maggi kaufte. Oder Mikito, der sich beschwerte: „Warum ragt die Bratwurst über das Brötchen hinaus? Ihr Deutsche seid doch bekannt für Präzision! Wie kommt ihr zu so einem unpraktischen Nationalgericht?“

Ich bin dann mal weg...

Im vergangenen Jahr hörte Steff auf seinen Körper, der ihm dringend empfahl, mit dem aufregenden, anstrengenden VK-Tourleben aufzuhören. Er lebt weiterhin im Münsterland, bei Metelen. Zum Abschied lud er seine Crew im Dorfrestaurant zum Essen ein: Ein 50jähriger mit schwarzen Klamotten und acht junge Girls? Seitdem denken seine Nachbarn, er sei ein Pornoproduzent. Hmpff...

Sein Fazit: Backstage ist es überall auf der Welt gleich hässlich. Die japanische Kultur hat er schätzen gelernt, obwohl er sie als Europäer nie verstehen wird. Aber, wie er sagt, „man lässt ein bißchen Feenstaub in sein Leben“.

Carsten Krystofiak

Steff Astan: „Sushi & Stromgitarre - A Visual Roadbook“.
Verlag Stefan Mensing 2017, 201 Seiten mit vielen Fotos, Euro 16,90. www.astan-magazin.de

(aus Ultimo Münster 13/2018)