Smarte Erben
Von Münsters
Pizza-Gang und Verhaftungen in Hiltrup
zum EU-Millionen-Schwindel: Mafia-Expertin
Petra Reski über
das moderne organisierte Verbrechen
Mafia - bei dem Wort denkt man an die üblichen Klischees aus Hollywood und Sizilien. Daran, dass die Mafia längst bei uns in Deutschland heimisch ist, wird man nur durch gelegentliche Paukenschläge erinnert, wie die Morde von Duisburg im Sommer 2008 oder die Verhaftung des vermutlichen 'Ndrangheta-Oberpaten Francesco A. in Münster-Hiltrup. Die Ermittlungen gegen den aus Kalabrien stammenden Mann führten zu über 123 Beschuldigten, 41 Verhaftungen sowie der Enttarnung des Mafia-Geheimrates „Crimine di Germania“ in Münster, der als Schlichter zwischen verfeindeten Clans agierte, wie die Tagesschau im Juni 2023 berichtete.
Ansonsten hält man die Mafia allgemein eher für süditalienische Folklore. Mit dieser Vorstellung räumt die Autorin Petra Reski rigoros auf. In der globalisierten Welt boomt das organisierte Verbrechen. Weltbank und Internationaler Währungsfonds schätzen, dass bis zu 20% des weltweiten Bruttosozialprodukts aus Kriminalität stammen! Banken, Briefkastenfirmen, Treuhandgesellschaften, Beratungsfirmen und Holdings lenken Milliarden. Dieses Geld ist Bestandteil des Finanzsystems und wird quer durch alle Branchen investiert. Geräuschlos wollen sie sich die in den Wirtschaftskreislauf integrieren und - wie alle Spekulanten - möglichst viel Profit gewinnen.
Die Neue Mafia
Petra Reski hat in Münster studiert, seit 1991 lebt sie in Venedig. Mit ihrem Mafiabuch Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern war sie in Deutschland auf Lesetour. In Erfurt, laut Reski ein Mafia-Geldwäschezentrum, wurde sie von der 'Ndrangheta bedroht. Doch solche direkte Gewalt ist selten. Laut Reski hat in den Führungsetagen („cupola“) der Mafiaclans schon lange ein Generationenwechsel stattgefunden. Die „alte Mafia“ zu Zeiten des berühmten Staatsanwalts Falcone zog noch eine Blutspur. Die moderne neue Mafia mordet selten und gedeiht doch prächtig - von öffentlichen Aufträgen, EU-Geldern und Politikerspenden. Die neue Klasse der Mafiapaten besteht nicht mehr aus brutalen Killern, sondern eloquent smarten Businessmanagern, die ihre Macht nicht mehr mit Bomben, sondern mit PR-Kampagnen ausbauen. Sichtbarer Ausdruck dieses Strategiewechsels: Mehrere in dem Buch genannte Betreiber italienischer Restaurants haben gegen Reskis Geldwäschevorwürfe geklagt, so dass einige Passagen geschwärzt werden mussten.
Schlechte Presse...
Folgerichtig sieht Frau Reski in Mafiamorden eher eine PR-Panne: „Die sizilianische Cosa Nostra hätte sich so einen Ausrutscher wie die Duisburger Morde der kalabrischen 'Ndrangheta nie erlaubt, weil so etwas nur Polizei und Presse weckt. Das bringt unerwünschte Unruhe ins Geschäft. Die Cosa Nostra ist sozusagen preußisch organisiert: Hier muss jeder Mord von ganz oben abgesegnet werden; wildes Geballer ist streng verboten.“
Laut Reski investieren Mafiosi besonders gerne in Deutschland (etwa in Immobilien, Firmen und Restaurants) - wegen der liberalen Gesetze und der lange eingeschränkten Abhörerlaubnis. Auch bei uns, so Reski, würden kommunale Beamte und Politiker „gekauft“.
Münsters Paten
Italienische Fahnder (und Mafiosi) lachen über die deutsche Polizei, zitiert Reski den Chef einer sizilianischen Antimafiakommandos: „Eine Polizei, die in 16 Landesämter gespalten ist, kann gar nichts ausrichten und das BKA allein ist schwach. Außerdem ist Mafia-Mitgliedschaft in Deutschland keine Straftat.“
Das Problem haben Polizei und Staatsanwaltschaft auch in Münster. „In Sachen Mafia ist Münster kein weißer Fleck“, sagt die örtliche Gewerkschaft der Polizei (GdP). Seit Ende der 1990er registrieren die Ermittler wachsende Aktivitäten in italienischen Kreisen. Mehrere Mafiosi wurden in Münster festgenommen, wie zuletzt 2023.
Drehscheibe Münster
Seit dem Duisburg-Massaker tauchte Münster sogar mehrmals in Mafiaberichten italienischer Zeitungen auf. „Das Münsterland nur als Rückzugsraum zu sehen, wäre falsch“, erklärt das LKA, „es passiert zwar, dass Personen, die in Italien gesucht werden, nach hierhin ausweichen, es sind aber auch Gruppen hier kriminell aktiv.“ Der Antimafia-Staatsanwalt Franco Roberti aus Neapel meint sogar, dass Münster und das Münsterland sich zu einem Zentrum für mafiöse Geschäfte entwickelt habe: Die Camorra schätze Münster besonders wegen des Nähe zu Holland, was für die Abwicklung von Drogendeals vorteilhaft sei. Aus den Niederlanden importiert die Mafia vor allem Kokain und Ecstasy, das via Transit durchs Münsterland ins Ruhrgebiet geht. Das belegten Dokumente der italienischen Direzione Investigativa Antimafia, in denen Münster neben der Rhein-Main-Region, Baden-Württemberg und dem Ruhrgebiet als Mafia-Hochburg auftaucht.
EU-Millionen
Aber es geht nicht nur um die Drogendeals der 'Ndrangheta; auch in der organisierten Wirtschaftskriminalität ist die Münster-Mafia aktiv: „Von Schwarzarbeit auf dem Bau bis zur Unterhaltung öffentlicher Straßen“, erklärt das Landeskriminalamt. Nach einem Geheimbericht der italienischen Abgeordnetenkammer kommen in Münster auch noch Immobilienhandel, Ausländereinschleusung und Fälschung deutscher Markenprodukte hinzu.
Mit dem ursprünglichen „Kerngeschäft“, der Schutzgelderpressung kleiner Gastronomen und Ladenbesitzer, gebe sich die Mafia im Münsterland schon längst nicht mehr ab, so die Erkenntnisse des LKA. Kein Wunder, wenn es viel einfacher ist, auf stillen Wegen an EU-Millionen zu kommen.
Reingelegt...
Ein Fall aus den wilden Anfangstagen der Münsterland-Mafia endete 1985 mit Haftstrafen vor dem schwer bewachten Landgericht am Hindenburgplatz: Zwei italienische „Pizzerione“, ein Anwalt, ein Pleiteunternehmer und eine Hausfrau hatten einen Münsteraner Kaufmann „gebeten“, 20 Mio. DM zu beschaffen - und ihm dafür im Tausch 10 Mio. angeblich unterschlagene Dollar angeboten. Der Austausch der Geldkoffer sollte am Rastplatz Münsterland stattfinden. 25 als Straßenarbeiter verkleidete Polizisten stürmten die Szene. Statt der Dollarnoten für den Kaufmann fanden sich im Kofferraum der Täter nur Pistolen und eine abgesägte Schrotflinte. Einer der Angeklagten konnte in seine Heimat entkommen und meldete sich aus einer italienischen Telefonzelle bei der Staatsanwaltschaft Münster: Er erklärte, der Prozess sei für ihn erledigt...
Carsten Krystofiak
(der aus Ultimo Münster 9/2009 stammende Artikel wurde 2023 aktualisiert)