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KULTURPROGRAMM & MEHR

Kultvorlesung

Drunkus Maximus

Münsters Archäologe Dr. Helge Nieswand
und seine launigen Forschungsberichte über
»Alkohol in der Antike«

Ethanol (C2H5OH) ist ein Stoffwechselprodukt von Mikroben, die Zucker abbauen - und die mutmaßlich älteste Droge der Welt. Jedenfalls die kulturell erfolgreichste. Schon der biblische Noah legte, nachdem er mit seiner Arche nach der Sintflut wieder auf dem Trockenen saß, erstmal einen Weinberg an! Und sechstausend Jahre alte Keilschriften aus Mesopotamien liefern Rezepte zum Bierbrauen. Tacitus berichtet von Saufgelagen der Germanen, die auch den Stärksten von den Beinen holen, während der Römer Seneca zu Cäsars Zeiten seinen Landsleuten wegen ihrer Trinkerei die Leviten las. Doch es gibt einen, der weiß das alles ganz genau: Der Münsteraner Archäologe Dr. Helge Nieswandt blickt in seinem an der Uni überaus beliebten wissenschaftlichen Vortrag Alkohol in der Antike auf die Trinkkultur antiker Völker von den alten Ägyptern bis zu den Kelten.

Wie am Ballermann

Dabei verklickert Nieswandt viel Wissenswertes und präsentiert dazu antike Trinkgefäße und sonstige einschlägige Utensilien. Was war der Drink der Antike? „Wein“, sagt Nieswandt, „aber der war eher von sirupartiger Konsistenz und wurde daher mit Wasser verdünnt.“ (Einspruch!, sagt Münsters Gruthaus-Brauer Philipp Overberg, denn neueste Forschungen sollen belegen, dass dort ebenso viel antikes Bier getrunken wurde. Unsere germanischen Vorfahren ließen sich neben Kräuterbieren vor allem Wein aus vergorenem Waldhonig schmecken.)

Gesoffen wurde kräftig und dauernd, zum Beispiel um dem Gott Dionysos dafür zu danken, dass er den Wein auf die Erde brachte. Alexander der Große war für Nieswandt ein „Supersäufer, der im Suff sogar Freunde umbrachte.“ Auf einer alten persischen Steintafel steht: „Ich konnte viel Wein trinken und ihn gut vertragen.“ Noch ältere babylonische Siegel zeigen „Szenen wie am Ballermann“, erzählt Nieswandt: „Aus einem großen kugeligen Krug trinken mehrere Männer mit Strohhalmen.“

Party mit Hetären

Auch wenn Frauen offiziell von den rituellen Kulthandlungen mit Besäufnis ausgeschlossen waren, fanden zumindest einige durch die Hintertür Zugang: Bei den Gelagen feierten die Hetären natürlich mit. Diese Hetären waren gebildete und musisch begabte Escort-Damen mit hohem Ansehen. Witze über betrunkene Hetären und Ammen zählten zum Standardrepertoire altägyptischer Komödien, über die sich schon die ollen Pharaonen beömmelten. (Mario Barth ist also kein Phänomen der Neuzeit.) Allerdings gab es auch damals schon Asketen, die öffentlich gegen Fleischverzehr und Weinkonsum wetterten - das ist also auch nichts Neues.

Die Glühwein-Pummels

Und auch Glühwein soll es schon gegeben haben: „Auf einem Fries tragen nackte, pummelige Männer eine große Amphore, aus der es dampft“, weiß der Archäologe. Und selbst Antikatermittel existierten schon: „Die typischen Stirnbänder, die sowohl modische als auch kultische Funktion hatten, wurden bei Gelagen mit ätherischen Ölen gegen den Kopfschmerz getränkt“, berichtet Nieswandt.

Sein launiger Vortrag wird passenderweise von der städtischen Drogenhilfe mitveranstaltet, deren Vertreterin Traubensaft für das Publikum ausschenkt. Das nächste Event wird voraussichtlich und aus bekannten Gründen leider erst Anfang des kommenden Jahres stattfinden. Aber wie ging die Story mit dem Alk denn nun nach der Antike weiter? Freundlicherweise hatten die Römer ihr Weinanbau-Knowhow über die Alpen bis an den Mittelrhein exportiert. Den Rest erzählen wir euch schnell...

Immer billiger

Im Mittelalter waren Weingelage ein Privileg von Adel und hohem Klerus, während das gemeine Volk mit schwachem Bier vorliebnahm. Das änderte sich auch in der frühen Neuzeit kaum. Doch dann entdeckte man das Potenzial des Branntweins, der bisher nur als Medizin in Klöstern gebrannt wurde. Der hochprozentige Schnaps trat einen Siegeszug an, vor allem bei Soldaten. Gewerbefreiheit und Brennlizenzen machten die Produktion zum Wirtschaftszweig und den Schnaps immer billiger. Die Erfindung der Dampfdestillation durch Johann Pistorius und die systematische Verbreitung der Kartoffel durch Friedrich den Großen, die sich auch prima zum Schapsbrennen eignete,  beschleunigten die Entwicklung erheblich.

Die Schnapspest

Mit dem Preis sank auch die Qualität. Das blieb nicht ohne gesundheitliche Folgen: Im 19. Jahrhundert sprach man allgemein von der „Branntweinpest“. In der Gründerzeit kletterte der Schnapskonsum auf einen Rekordwert von 12 Liter reinem Alkohol pro Kopf und Jahr, der nie wieder erreicht wurde. Es begann die Zeit der Gegenbewegung durch radikale Antialkoholiker. Ein gängiges Narrativ ist, dass sich die Arbeiterschaft mit billigem Fusel narkotisierte, um ihr Elend zu ertragen. Dabei gab es aber im Proletariat auch viele normale sozial-gesellige Trinkanlässe.

Außerdem gab es regionale Unterschiede: Während sich der gemeine Fusel vor allem in Norddeutschland und Preußen durchsetzte, blieben die Bayern lieber beim süffigen Bier. Davon tranken sie aber derart viel, dass das Verhältnis - auf reinen Alkohol umgerechnet - wieder gleichkam.

Bis zum Exzess

In Westfalen wurde die Erfindung des Destillats begeistert begrüßt. In alten Reiseberichten aus dem 18. Jahrhundert heißt es über die Münsterländer: „Sie saufen Branntwein wie Wasser.“ Und Chronisten beklagen, dass die Leute vom Kirchenfeiertag bis zur Kindstaufe, vom Hausbau bis zur Hochzeit wirklich jeden Anlass zu einem Schnapsexzess nutzen. In einem Polizeibericht aus dem Kaiserreich wird erwähnt, dass ein Knecht bei Warendorf zu Tode kam, weil er aufgrund einer Wette einen Liter Branntwein trank. Die Rufe nach staatlichen Eingriffen wurden lauter - ein Umstand, der in Münster zum legendären „Bierkrieg“ um die Einführung einer Sperrstunde führte.

Nach dem Ersten Weltkrieg sank der Schnapskonsum allgemein stark ab - vor allem durch hohe Besteuerung und damit verbundene Preissteigerungen, aber auch durch neue Freizeitangebote. Vor allem in den Jugendbewegungen war eine Abstinenzhaltung verbreitet. Auch ein österreichischer Postkartenmaler, der beschloss, Politiker zu werden, lehnte Alkohol ganz ab und trank nur Mineralwasser... und wohin das geführt hat, haben wir ja gesehen. Also Prost!

Carsten Krystofiak

(aus Ultimo Münster 13/2020)