SCHRECKEN Wer ist das Monster? Klassische Unholde auf romantischen Abwegen Was den Vampiren schon seit ihrer literarischen Geburt recht ist, nämlich ein Liebesleben nach dem Tode, ein bisschen Zuneigung jenseits aller Schrecken, das lernen die übrigen Bewohner der Schattenwelt erst in den letzten Jahren. Wir begleiten einen Werwolf und einen Zombie beim zögernden Händchenhalten. Rainer Stenzenbergers Berlin Werwolf, der erste Roman des umtriebigen Unternehmensberaters soll gleich eine ganze Trilogie starten, spielt in einem beinahe gegenwärtigen Berlin und ganz offensichtlich mit der Medienkenntnis der Leser. Finge es sonst fast an wie Saw, mit zwei im Keller knapp außer Reichweite angeketteten Menschen, von denen einer ein Werwolf ist und uns raubauzig seine Geschichte erzählt? Die führt erst mal in den hohen Norden, weil Stenzenbergers Lykaner von den Berserkern abstammen, antiken Haudraufs vom oberen Rand der Welt. Dann tauchen wir schnell in die heutige Unterwelt. Dort fühlt sich unser verliebter Wolf am wohlsten, so zwischen Straßenstrich und 24-Stunden-Bar, mit krummen Geschäften und einem heimlichen Krösken mit der Tochter des türkischen Wettpaten. Nur ein Freund weiß von den monatlichen Bluträuschen des Anti-Helden, und nur allmählich kriegen wir mit, wie regelmäßige Zerfleischungsanfälle mit jungenhafter Knabberei am Ohrläppchen der Geliebten zusammen passen. Oder warum der Wolf mit seiner Nachtjacken-Clique ausgerechnet deren Vater im großen Stil beklauen will. Jedenfalls brockt sich das Biest eine Menge Ärger wegen der Beauty ein. Deren Brüder wollen ihn aus Familienehre umlegen, die Polizei hat eigentlich immer was gegen ihn in den Akten, und neuerdings ist auch ein veritabler Werwolfjäger in der Stadt. So kreuzt Stenzenberger klassische Unhold-Plots mit ausführlichen Drop-Out-Episoden aus den Krisengebieten der Großstadt, ein bisschen "Loser beißen sich durch"-Attitüde und ganz viel Kuschel-Sehnsucht. Etwas zu schnoddrig, um wahr sein zu können. Isaac Marions Mein fahler Freund spielt irgendwann in naher Zukunft in einer ziemlich entvölkerten Welt. Die meisten Menschen sind tot, die wenigen Überlebenden kämpfen auf verlorenem Posten gegen die unaufhörlich und unsterblich gegen die Bretterwände der Zivilisation anwankenden Zombie-Horden. Niemand weiß mehr, wie es dazu kam. Ein Virus? Zu viele schlechte Filme? R weiß es schon gar nicht. R kann sich eh nur noch an den ersten Buchstaben seines Namens erinnern. R ist ein Zombie, halb vergammelt wie die meisten, von unerklärlichem Hunger nach Menschenhirn getrieben, aber womöglich ist er die letzte Hoffnung der Erde. Denn er denkt noch ein bisschen. Anfangs als tumber Tor, der nichts versteht, aber doch nicht glaubt, dass verrotten und Menschen fressen schon alles gewesen sein soll. Dann trifft er, kaum hat er einem jungen Mann das Hirn aus dem Schädel geschlürft, hinter der nächsten Tür auf Julie. Ob aus vorübergehender Sattheit oder Gefühlsvergiftung durch den letzten Snack: Er lässt Julie am Leben. Das findet sie nett. Später kommen sie zusammen. Ja, es entwickelt sich ein grandioses Garn vom unpassenden Paar gegen den Rest der Welt. Die Lebende und der Untote müssen sich mehrfach gegenseitig vor den Ihrigen oder den Seinigen oder umgekehrt retten. Das ist spannend, aber Abenteuer-Alltag. Wichtiger für den Wumms des Buches ist, dass die "echten Menschen" aus schierem Überlebenszwang ein gnadenloses Regime aufgezogen haben, das sehr schnell die verkommene Menschlichkeit als wenig rettenswert erscheinen lässt. Und dass die Zombies überdeutlich als Metapher für den ziellosen Menschen von heute herumwanken. Keiner weiß, warum er eigentlich weiter macht, aber alle machen mit. Da will man weder Zombie noch Mensch sein. Dann doch lieber mit R und Julie in einem Flugzeugwrack hocken, füreinander vorsichtigen, distanzierten Respekt empfinden, sich erstmal aller Übergriffe enthalten und je nach Bedrohungslage den Partner mal als Zombie, mal als Menschen schminken, weil man zumindest ahnt, warum man überleben will. Die Verfilmung ist schon im Gange. Wing
Rainer Stenzenberger: Berlin Werwolf: Blutsbrüder. Bebra Verlag, Berlin 2012. 256 S., 14,95 / Isaac Marion: Mein fahler Freund. Aus dem Englischen von Daniel Sundermann,Klett-Cotta, Stuttgart 2011, 299 S., 19,95
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