Wilhelm Reich

Reich ins Heim / Der O.-Punkt

Ein patenter Sachcomic über den Psycho-Gott der späten 70er

Erinnert sich noch jemand an die Sach-Comic-Reihe des Rowohlt-Verlages, damals, als sogar das Großkapital aufklärerisch sich gab, und von Einstein bis Lenin allen Laien die Welt auf dem Bildweg beigebracht wurde? Mit der ersten Kohl-Wahl etwa war das bei uns vorbei, in England wehte der Geist weiter von links ins Untiefe, und heute bringt der auch schon ziemlich groß gewordene Zweitausendeins-Verlag eine damals unübersetzt gebliebene Wichtigkeit heraus. Danke schön.
Das Original erklärte 1986, knapp 30 Jahre nach Reichs Tod im amerikanischer Haft (wegen Herzschlag bzw. Export-Verstoß), relativ neutral den Lebensweg und Gedankengang des ersten Bioenergetikers der Welt. Reich lernte bei Freud, aber überwarf sich mit ihm, weil er die "Sexualenergie" physikalisch messen wollte, "Charakter" prinzipiell für ein Krankheitssymptom hielt und Therapie und kommunistische Revolution nicht trennen wollte - Verschiedene KPs wiederum verstießen ihn, weil ein praktizierender Sexualtherapeuth und Orgasmusberater nicht zur Kominternen Moral paßte - die Nazis verbrannten seine Bücher ... und 30 Jahre später die Amerikaner, kurz nachdem der früher scharfsinnige Faschismus-Theoretiker sich kommunistenfressend McCarthy angebiedert hatte. Und wohl weil Reich vom bloßen Tiefen-Entspannungs-Orgasmus zu kleinen blauen Energiepartikeln kosmischer Lust fortschritt (die Orgone), und zu einer kompletten Mythologie mit UFOs, Lebenskraft-Polizei und selbstgebauten Strahlwaffen - vor allem aber weil er zwar mit seinen "Cloud-Bustern" nachweislich Regen machen konnte, aber auch nuklearinduzierten Krebs bei AKW-Arbeitern in seinen berühmten "Orgon-Kisten" (wer noch in keiner saß, weiß nicht was seltsam ist) gräßlich verstärkte.
Es spricht sehr für den Sach-Comic, daß er Reichs End-Drift ins totale Trübe einerseits als folgerichtig vorstellt (auch auto-psychotisch: er fühlte sich von allen verlassen, incl. Einstein, der 1940 die Orgonen einfach nicht sehen wollte), und andererseits nicht für völlig abwegig hält: "Entweder seine Entdeckungen stimmen und 99 Prozent der früheren Wissenschaft ist Schrott, oder WR bereitet seine Wahl auf den Thron Gottes vor".
Und es spricht nicht mehr gegen den Comic als gegen die gesamte Wilhelm Reich- und William S. Burroughs-Literatur bisher, daß die frappante Ähnlichkeit zwischen WRs anti-origastischen Raumschiff-Gangstern (Krebs kommt von deren Abgasen), WBs zeitgleicher außerirdisch gesteuerter Drogen-Polizei (Homosexualität ist eine Art physiologischer Turkey) und den psychotischen Mode-Märchen über beider Präsident Eisenhowers UFO-Pakt (ihr dürft die Roten zum Vivisezieren mitnehmen) noch keinem aufgefallen ist, der sie auszusprechen gewagt hätte. Außer, wie immer, uns.
WING
David Zane Mairowitz / German Gonzales: Wilhelm Reich kurz und knapp Deutsch: Ursula Grützmacher-Tabori. Zweitausendeins, Frankfurt 1995, 172 S., 20.- DM