QUENTIN TARANTINO

Sardoniscch lakonisch

Ein Roman zum Verfilmen

Seit Quentin Tarantinos Reservoir Dogs sind wahrscheinlich mehr unschuldige und unbeteiligte Menschen im Kino ermordet worden als in der gesamten Kinogeschichte davor. Mit Pulp Fiction, Natural Born Killers und From Dusk Till Dawn hat nicht nur das Gemetzel ins Mainstream-Kino gefunden, ist nicht nur das Abschlachten von Menschen eine ziemlich coole Angelegenheit geworden, auch die permanent geführte "Gewalt in den Medien"-Debatte ist schlagartig zum Erliegen gekommen. Angesichts der oben angesprochenen Meisterwerke scheint sich kein Medienkritiker mehr zu finden, der sich inhaltlich mit diesen Filmen auseinandersetzen möchte; die letzten Versuche in dieser Richtung gab's, wenn ich mich richtig erinneren, bei Lynchs Wild At Heart.
Wenn man bedenkt, daß Tarantino im ganzen nur zwei Filme gedreht hat, sind die medialen Folgen phänomenal. Tarantinos Art, Leute sterben und Killer reden zu lassen, hat sich derart schlagend durchgesetzt, daß man fast zweifeln möchte, ob er und seine zwei Filme (plus die, für die er die Drehbücher schrieb, und der Episodenfilm Four Rooms) wirklich verantwortlich sind für dieses "neue" Kino, oder ober Tarantino nicht einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort mit dem richtigen Film war, wenn auch knapp: bei Reservoir Dogs gingen die Leute noch aus dem Kino (die europäischen Vorgänger Mann beißt Hund und Henry konnten sich ebenfalls nicht durchsetzen), bei Pulp Fiction schon siegte die Kunst über die Magennerven.
Eifrige Analysatoren werfen schon die ersten Bücher auf den Markt (Die Narration und Bildsprache bei Quentin Tarantino...), wir werden demnächst mal ausführlicher darauf eingehen. Zur Einstimmung in die Problematik sei erst einmal der urkomische Roman Popcorn des Engländers Ben Elton erwähnt. Darin erlebt ein Tarantino aus dem Gesicht geschnittener Gewalt-Regisseur in seiner "Oscar"-Nacht den Alptraum seines Lebens: Zwei Natural Born White Trash-Killer kommen in seine Villa, nieten seinen Wachmann um, erschießen seinen Agenten - und laden alle TV-Stationen des Landes ein, mal vorbeizuschauen. Denn sie wollen, daß der berühmte Regisseur vor die Türe tritt und sagt: Diese Kinder der Gewalt sind meine Kinder, ich habe sie geschaffen!, wobei die mörderischen Trash-Kids sich über die Idee totlachen, denn sie sehen sich nicht als Produkt des Kinos. Andererseits sehen sie durch solch ein Geständnis gute Chancen, nicht auf den elektrischen Stuhl zu kommen.
Das alles ist sehr komisch, blutig und schwarzhumorig erzählt, in jener sardonischen Lakonie, die in solchen Filmen gepflegt wird. Und stellt über die Erzählung eine sehr böse Verbindung her zwischen solchen Filmen, der Gewalt-Geilheit der prüden Medien (der Killer, live im TV, wird gebeten, nicht so viel zu fluchen, da man sich sonst ausblenden müsse...) und der feigen Lust des Publikums. In der Schlußszene spricht der Killer live in die Kamera zum Millionenpublikum: Wenn ihr jetzt euren Fernseher abschaltet, werde ich mich schön brav der Polizei ergeben. Aber wenn ihr dranbleibt, werde ich alle in diesem Raum live vor der Kamera erschießen. Dann läßt er sich vom Produzenten die aktuellen Einschaltquoten durchgeben ...
Victor Lachner
Ben Elton: Popcorn. Aus dem Englischen von Jörn Ingwersen. Goldmann 1997, 320 S., 20.- DM