KRIMI-PARODIEN

Popp, Stolizei...

Drei mal Krimis, die keine sein wollen

Ganz bestimmt wollte Philippe Dijan mit Sirenen keinen Krimi schreiben. Aber weil es ein Opfer gibt - ein junges Mädchen wurde brutal mißhandelt und ermordet - und die Hauptfiguren zwei Cops sind - isses einer. Dabei geht Dijan dem Kriminalfall meistens aus dem Wege und hat viel mehr Spaß daran, sein drolliges Duo - der begriffsstutzige schöne Cop Nathan und die blitzgescheite füllige Polizistin Marie-Jo - durch die Alltäglichkeiten des Lebens zu schleifen. Marie-Jo hat einen schwulen Gatten und trotzdem massig Sex, Nathan versteht von der Welt eigentlich gar nichts und ist heilfroh, dass Marie-Jo in ihn verliebt ist. Über der ganzen Geschichte kreist der Weltkonzern-Chef Brenner, dessen Tochter es war, die ermordet wurde. Nathan schließt sich - aus eher privaten Gründen - der örtlichen ATTAC-Gruppe an, für die Paul Brenner sowieso an allem Schuld ist, Marie-Jo vermutet eher private Motive hinter dem Mord.
Obwohl das Buch Längen hat und Dijan wie immer ein bißchen geschwätzig ist, überzeugt vor allem das Ende: war vorher ein eher boulevardesquer Tonfall vorherrschend, stürzt uns Dijan auf den letzten 30 Seiten in ein Ende, dass so finster ist wie die Wirklichkeit.
Auch Feridun Zaimoglu (der Erfinder der "Kanak Sprak") wollte mit Leinwand gewiß keinen Krimi schreiben. 150 Seiten lang macht er sich über den typischen Ermittler-Roman lustig, seine beiden Haupfiguren, ein türkischstämmiger deutscher Polizist und eine altkluge 25jährige Psychologie-Praktikantin reden meistens Blödsinn, klären keinen einzigen Fall auf und genießen es ansonsten, beim Bergen einer Leiche im See mit der dortigen Bereitschaftspolizei ein mehrtägiges Grill-Picknick zu veranstalten.
Als absurder Spaß ist das nett zu lesen, vor allem, weil hier einer die gängigen deutschen Krimi-Klischees aufs Korn nimmt, vom sozialisierten Türken bis zum bissigen Gerichtsmediziner sind alle da.
Bodo Kirchhoff, sonst eher in den höheren Regionen der Literatur zu Hause, hatte sich sehr geärgert, dass sein "opus magnum" Parlando so gar nicht gewürdigt wurde. Und schrieb aus Rache Schundroman, einen Krimi mit allem Zick und Zack - ein verlorener Picasso kommt vor, ein finsterer Major aus Manila, ein sadistischer Schuft, ein blonder Ex-Cop, eine Hure mit Herz. Ein großer Literaturkritiker (gemeint ist Reich-Ranicki) wird gleich am Anfang en passant abgemurkst, als er gerade am Flughafen-Kiosk die Zeitungsseite mit seinem eigenen Foto studiert. Der Literaturchef der "Süddeutschen" kriegt eins über die Rübe gezogen, Harald Schmidt schafft es nicht, seine Angeber-Yacht ans Laufen zu kriegen, Martin Walser wird des Mordes verdächtigt ... sie kommen alle vor. Nicht mit richtigen Namen, aber doch bis zur Kenntlichkeit verfremdet.
Nebenbei ist Schundroman genau das, was der Titel verspricht. Kirchhoff beherrscht die literarischen Mittel der Pulp Novel souverän, vom allwissenden Erzähler angefangen, der fast jedes Kapitel mit einer Lebensweisheit beginnt, über kitschig-dümmliche Reflexionen über die Liebe ("sie gehört keinem") bis hin zu drastischen Gewalteinlagen und pseudofreudianischen Einschüben: der Held des Romans kann nicht schmerzfrei vögeln, seit ihm in früher Jugend im Kinderheim von einer üblen Jungenbande der Schwanz mit Modellbau-Lack eingepinselt wurde; sowas prägt einen verschlossenen Charakter. Gleichzeitig ist der eigentliche Plot spannend und wirklichkeitsnah, vor allem der "Flowtex"-Skandal hat Kirchhoff sehr inspiriert (da ging es um sehr teure Leasing-Bohrmaschinen, die nur auf dem Papier existierten). In einem Schundroman versteht es sich von selbst, dass der Peiniger aus der Kindheit heute der große böse Gegenspieler des Helden ist.
Am Schluß taucht übrigens der Autor selbst auf und rettet alle. Jedenfalls die, die es verdient haben. Sogar Susan Stahnke.
Alex Coutts
Philippe Dijan: Sirenen Aus dem Französischen von Uli Wittmann, Diogenes, Zürich 2003, 441 S., 22,90 ISBN: 3257063741
Feridun Zaimoglu: Leinwand Rotbuch, Hamburg 2003, 159 S., 13,80 ISBN: 3434530800
Bodo Kirchhoff: Schundroman Fischer, Frankfurt 2003, 316 S., 9,90 ISBN: 3596160758