INTERVIEW
»Angst und Liebe sind das Königspaar«
Mit 15 schrieb Benjamin Lebert seinen autobiografischen Internatsroman "Crazy" und wurde zum Wunderkind der Pop-Literatur. Heute ist er 21, hat eine Million Bücher verkauft und wird in 33 Sprachen gelesen. Leberts neues Buch »Der Vogel ist ein Rabe« beschäftigt sich mit den Irrungen und Wirrungen des Erwachsenwerdens, schildert Angst, Schmerz und Verzweiflung einer "verlorenen" Generation.
Das neue Buch präsentiert Alpträume statt Pubertätsromantik. Ihre persönliche Rache an den Deutschlehrern, die Sie seit "Crazy" ins Herz geschlossen haben?
Benjamin Lebert: Der Gedanke gefällt mir. Obwohl das nicht bewusst geplant war, finde ich es gut, sich an Lehrern zu rächen. Meine waren einfach furchtbar. Außerdem mochte ich es nie, dass man Crazy im Unterricht liest. Die Bücher, die ich in der Schule durchkauen musste, haben mich nur von der Literatur weggeführt.
Hatten Sie das Gefühl, der Willkür Ihrer Lehrer ausgeliefert zu sein?
Lebert: Ich bin jemand, der sich wehrt. Das führte dazu, dass ich es schwerer hatte. Die Chancen auf eine gute Note sind immer von der Sympathie des Lehrers abhängig.
Sie waren Gastdozent für kreatives Schreiben an der New York University. Was war das für ein Gefühl, selbst Lehrer zu sein?
Lebert: Eine absurde Situation - ich war 17, die Studenten 25 und älter. Als erstes habe ich gesagt, dass das Ganze ein Witz ist und ich nicht da bin, um Lehrer zu spielen. Eigentlich wollte ich mir nur anhören, wie die ihre Texte schreiben. Und wenn einer wissen wollte wie ich das mache, dann habe ich das halt gesagt.
In diesem Sommer haben Sie Ihren Hauptschulabschluss nachgeholt. Haben sich die Pauker gebessert?
Lebert: Die Lehrer waren okay, die haben sich wirklich für die Schüler interessiert. Ich habe das in erster Linie als Ausgleich gemacht, damit mein Leben eine Struktur bekommt. Beim Schreiben bin ich immer allein. Für mich war wichtig, irgendwo hinzugehen, wo andere Leute sind, die das gleiche durchmachen. Das hat mich jedenfalls mehr zur Schule geführt als die Schule an sich. Was kann ich mit dem Hauptschulabschluss schon anfangen?
Sie haben ja einen Beruf: Schriftsteller, jüngster Autor der deutschen Verlagsgeschichte - was wollen Sie mehr?
Lebert: Den lieben Gott kann man immer gut zum Lachen bringen, indem man sagt: "Mein Werdegang ist völlig klar!" Man weiß es nie genau! Momentan kann ich gut vom Schreiben leben, ich will auch gar nichts anderes machen; Schriftsteller ist mein großer Traum. Aber trotzdem bin ich auf der Suche nach neuen Erfahrungen.
Sie beschreiben in Ihrem neuen Roman eine Welt voller Ängste, Schmerz und Verzweiflung.
Lebert: Da ist eine bestimmte Traurigkeit, die mein Leben bestimmt. Natürlich kenne ich auch freudige Gefühle, aber die Trauer ist eigentlich immer hörbar.
Wie gehen Sie damit um?
Lebert: Ich versuche, nicht drüber nachzudenken. Oder zu schreiben. Es hilft manchmal, seine Angst und seinen Zorn in Worten auszudrücken. Angst und Liebe sind das Königspaar. Angst ist die Königin, Liebe der König. Beide sind desselben Ursprungs und können nicht ohneeinander.
Hat das neue Buch Licht in die Dunkelheit Ihrer Seele gebracht?
Lebert: Überhaupt nicht. Das Ganze ist ungefähr so, als ob man etwas ganz Schlimmes erlebt hat und nach langer Zeit erzählt man es jemandem. Die Person sagt aber nichts, sondern hört nur zu. Die Angst geht davon nicht weg, aber man fühlt sich ein bisschen besser.
Ist es sinnvoll, auf eine Lösung von außen zu warten und darauf zu hoffen, dass sich die Dinge von allein ergeben?
Lebert: Man kann nicht von einem anderen Menschen gerettet werden. Ich habe auch nie darüber nachgedacht, ob ich mir wünsche, dass die Trauer weggeht. Es ist einfach so. Wenn sie gerade mal nicht da ist, kann es sehr entspannend sein, wenn sie da ist, muss man es irgendwie überstehen. Oder einfach akzeptieren. Das geht einher mit dem Versuch, sich selbst zu akzeptieren. Das werde ich aber wohl nie können.
Hat sich Ihre innere Welt ein wenig nach außen geöffnet, seit Sie von Berlin nach Freiburg gezogen sind?
Lebert: Ich bin hergekommen, weil es in Freiburg weniger heftige Anschläge auf meine innere Welt gibt. Das können Personen, Eindrücke oder Gefühle sein. Wenn ich in einer Großstadt wie Berlin von dem einen Stadtteil in den anderen fahre, sehe ich so viele Dinge, die meine Welt gefährden, dass eine einfache U-Bahnfahrt gar nicht auszuhalten ist. Das kommt zwar auch in Freiburg vor, aber wenigstens kann ich zwischenzeitlich im Wald verschwinden.
Interview: Olaf Neumann
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