Film-Geschichten

REBELLENKINO

Peter Biskinds Reportage über »New Hollywood«, seine verrückten Regisseure und warum es unterging

»Das System wird an seiner eigenen Schwerfälligkeit ersticken! Ihm bleibt gar nichts anderes übrig!« (Francis Ford Coppola, Regisseur)


»In vielen Filmen der Siebziger ging es darum, die Disparität zu entlarven zwischen dem, was das Land zu sein vorgab, und der Art und Weise, wie die Filmemacher es wahrnahmen, und sie hatten ein Publikum, das daran interessiert war. Als die Achtziger anbrachen, landeten wir in einer Welt der anabolikagemästeten Superhelden. Sly, Arnold und sogar Bruce Willis sollten den Vietnamkrieg ein zweites Mal ausfechten und ihn diesmal gewinnen. Das Land bedurfte einer Phantasie, in der es nicht impotent war, sondern so stark wie Arnold und so unverletzbar wie Robocop.« (Robert Towne, Drehbuchautor)


»Die Arroganz und die Mösen - das war der Teufel, der uns in Versuchung führte« (William Friedkin, Regisseur)


Eigentlich war Hollywood Mitte der 60er tot. In den Chefetagen der großen Studios saßen 70jährige Greise, die sich angesichts eines Films wie Blow Up sicher waren, dass sie kein Wort verstanden von dem, was das draußen vorsichging. Zudem hatte das Fernsehen unter den Kinobesuchern schrecklich gewütet und die Anzahl der verkauften Kinotickets mehr als halbiert.
In dieser Phase der Ratlosigkeit konnte es passieren, dass man Geld ausspuckte für kleine, "schmutzige" Produktionen von Leuten, die ziemlich unbekannt und vollkommen unerfahren waren. Jungs, die ihr Handwerk zum Teil bei dem unabhängigen Billig-Produzenten Roger Corman gelernt hatten (wie Jack Nicholson oder Peter Bogdanovich) erhielten plötzlich die Chance, Filme für die großen Studios zu drehen. Das Ergebnis war "New Hollywood", die Ära der Regisseure, die auch Autoren sein wollten (wie ihre europäischen Vorbilder). Es entstanden verrückte Filme, wilde, kommerziell erfolgreiche, Flops, Meisterwerke. Die Studios verloren vorübergehend ihren Einfluß auf die Filme, die Regisseure waren die Stars und besaßen die Kontrolle über ihre Filme.
Der Filmjournalist Peter Biskind hat in einem ziegelsteindicken Buch die Geschichte dieser kurzen Rebellion aufgeschrieben, ihre Skandale, ihre Höhen und Tiefen, ihre Klatsch- und Tratsch-Storys. Biskind: "Die dreizehn Jahre zwischen Bonnie and Clyde (1967) und Heaven's Gate (1980) waren die letzte Zeit, wo es wirklich aufregend war, in Hollywood Filme zu machen, die letzte Zeit, wo die Filmemacher auf ihre Werke durchweg stolz sein konnten, und wo es ein Publikum gab, das solche Filme ermöglichte."

Stiefellecken

Um an die 1,6 Mio Dollar zu kommen, die er für Bonnie & Clyde brauchte, soll Warren Beatty dem Studioboß Jack Warner die Füße geküßt haben. Das Drehbuch war von zwei Amateuren verfaßt worden, die es schon Truffaut und Godard angeboten hatten (beide hatten abgelehnt). Beatty hatte das Drehbuch gekauft, weil es in seiner Karriere als Schönling nicht so recht weiterging ("Willst du ein zweiter George Hamilton werden?" fragte ihn einer seiner Freunde) und er etwas wirklich wildes machen wollte. Er holte sich als Regisseur den damals abgemeldeten Arthur Penn und ließ das Drehbuch von einem jungen Mann namens Robert Towne aufpolieren, der später als "Feuerwehrmann" für kaputte Drehbücher ein Star wurde und das Drehbuch zu "Chinatown" schrieb. Der Produzent David Geffen: "Bob Towne war ein begnadeter Autor, aber er war auch ein extrem langweiliger Mensch. Er sprach nur über sich selbst. Zum Schreiben zog er sich immer nach Catalina zurück, und hinterher erzählte er dir dann in allen Einzelheiten, wie er den Kühen beim Scheißen zugesehen hatte."
Bonnie & Clyde ist das Vorbild zu dem, was Oliver Stone später mit Natural Born Killers so pompös und und bombastisch wiederholte: die Geschichte eines Gangsterpärchens, das sich gegen alle Regeln stellt. Allerdings hatte Bonnie & Clyde eine subversive Grundhaltung (während Stones Helden nur ungezogene Blagen sind). Um sich dem Einfluß des Studios zu entziehen, drehte Beatty den Film in Texas. Ursprünglich sollte Clyde eine leicht homosexuelle Orientierung verpaßt bekommen, was dann aber abgemildert wurde: Clyde war einfach nur impotent.
Bei Jack Warner fiel der Film durch: dreimal mußte er während der Test-Vorführung pinkeln gehen, was für den alten Studio-Boss seit je her Beweis genug war, dass ein Film zu lang und zu langweilig war. Da Jack Warner aber seine Anteile an der Firma sowieso verkaufen wollte, war es ihm letztlich egal, was mit diesem kleinen, recht brutalen Film passieren sollte; schlimmstenfalls hatte man 1,6 Mio Dollar in den Sand gesetzt.
Pater Sullivan von der Catholic Legion of Decency, die den Film auch genehmigen sollte, war da schon eine härtere Nuss. Er glaubte, deutlich sehen zu können, dass Faye Dunaway in der Anfangsszene, wo sie eine Treppe herunterkommt, keine Schlüpfer trug. Warren Beatty: "Er ließ den Film andauernd vor- und zurückspulen und sagte Sachen wie 'Oh nein, da ist ihr Busen zu sehen!' Wir sagten: 'Aber nein, Vater, das ist bloß ihr Kleid, das ist der Seidenstoff.' Und er sagte: 'Nein, nein, ich kann deutlich ihren Busen erkennen. Halt, stop! Ist das da nicht eine Brustwarze?' Wir sagten: 'Nein, nein. Das ist bloß ein Knopf.'"
Bonnie & Clyde wollte nicht mehr sein als der Einsteig Beattys ins Produztengewerbe. Aber er war der Anfang einer anderen Art von Kino.

Auf die Fresse

Die Dreharbeiten zum zweiten Startschuss von New Hollywood waren nicht gerade von Zutrauen geprägt: Easy Rider war ein gemeinsames Projekt von Peter Fonda und Dennis Hopper, Fonda produzierte, Hopper führte Regie. Als die Dreharbeiten begannen, war Hopper vollkommen hysterisch und paranoid. Er verdrehte beim Mardi Gras, dem Karneval in New Orleans, haufenweise unterbelichtete Filmmeter, nachdem er der Crew eine lange Rede gehalten hatte, die Fonda sicherheitshalber heimlich mitschneiden ließ; Hopper brüllte herum, dass dies sein Film sei und alle hätten nur zu tun, was er sagte. Fonda und Hopper waren vollkommen zerstritten, und da Hopper zu Prügeleien neigte, wappnete sich Fonda gegen körperliche Attacken: "Ich trug einen Gürtel, eine schwere, verchromte Motorradkette. Wer so ein Scheißding über die Fresse gezogen kriegt, sollte vorher seine Gesichtsknochen numeriert haben." Aus dem Biker-Film - eigentlich ein mausetotes Genre - wurde ein Hit. Biskind: "Als klar war, dass Easy Rider sich zum Kassenknüller entwickeln würde, frotzelte Fonda, dass die Columbia-Manager aufhörten, verständnislos den Kopf zu schütteln, und statt dessen verständnislos zu nicken begannen."

Es geht los!

Mit einem Mini-Budget von 2 Millionen Dollar durfte William Friedkin French Connection drehen. Der junge Wilde mit den schlechten Manieren, der noch ein Jahr vorher in Interviews verkündet hatte, das traditionelle Erzähl-Kino sei tot, drehte diesen Cop-Thriller mit jenen Mitteln, die er als Dokumentarfilmer zu nutzen gelernt hatte. Heraus kamen Bilder wie zufällig eingefangen, körnig und unruhig. Der Film kostete schließlich sogar weniger als 2 Millionen Dollar - und spielte knapp 30 Millionen Dollar ein. Eine ähnliche Profit-Marge erreiche der Coppola-Spezi George Lucas mit American Graffity, dem ersten "feelgood"-movie des New Hollywood.
Mit dem Erfolg kam bald der Größenwahn: Peter Bogdanovich, der sich das blutjunge Model Cybyll Shepard während der Dreharbeiten zu Last Picture Show geschnappt hatte, schwärmte öffentlich davon, wie formbar Cybyll sei und verglich sich selbst nebenbei mit Howard Hawks, John Ford und Orson Welles.
Ein nervöser, asthmatischer New Yorker namens Martin Scorsese drehte Mean Streats und Taxi Driver. Der geniale Cutter Hal Ashby drehte Harold & Maude, ein Film, bei dessen Testvorführung jemand den Saal verließ und meinte, er müsse gleich kotzen: da vögelt ein Junge seine Oma ... Robert Altman drehte M*A*S*H und Drei Frauen, Mike Nichols Die Reifeprüfung, Stanley Kubrick 2001, Roman Polanski Rosemary's Baby - das Kino sah innerhalb von 5 Jahren vollkommen anders aus. Die Regisseure waren jetzt nicht mehr Angestellte der Studios, sondern Künstler.
William Friedkin traf sich mit Claude Berri, Francois Truffaut und George-Henri Clouzot zu einem gemeinsamen Abendessen. Friedkin redete Clouzot wiederholt mit "Maestro" an und, so Biskind, "gestand, dass er von ihnen allen gestohlen hatte, und er bewies es ihnen, indem er ihre Filme Szene für Szene durchging und ihnen erläuterte, auf welche Weise er dies oder das in seinen Filmen zitiert hatte." Woraufhin Clouzot ihn fragte: "Wie haben Sie es geschafft, sich all diese Scheiße zu merken?"
Welche finanzielle Potenz in diesem neuen Kino steckte, sollte sich 1972 zeigen, als Francis Ford Coppola eine Mafia-Geschichte herausbrachte, die viel zu lang, meistens zu dunkel fotografiert war und Verbrecher zu Helden machte ...

(Forsetzung folgt)

Victor Lachner
Peter Biskind: Easy Riders, Raging Bulls. Wie die Sex & Drugs & Rock'n'Roll-Generation Hollywood rettete Aus dem Amerikanischen von Fritz Schneider. Rogner & Bernhard bei 2001, Hamburg 2000, 852 S., 49,- DM