LIEBE
Raina lächelt
Craig Thompsons großartiger Comic-Roman »Blankets«
Das Ende der ersten große Liebe ist ein ganz eigener Schmerz. In seinem "illustrierten Roman" hat Craig Thompson dafür ein ganz einfaches und wie so oft überwältigendes Bild gefunden: als er nach zwei Wochen Schulferien seine geliebte Raina wieder verlassen muß und von seiner Mutter abgeholt wird, fährt der Wagen vom Parkplatz - ins Nichts.
Solch überraschenden Einfälle hat Thompson in Blankets viele, selten haben sich Erzählung und Grafik derart wirkungsvoll ergänzt wie in diesem dicken, fast 600 Seiten starken Comic-Tagebuch, das vom Erwachsenwerden Thompsons erzählt. Als Kind ist er durchdrungen von Gedanken an Sünde und Hölle (er wird streng christlich erzogen), in der Schule ist er ein schwächlicher Außenseiter, der nicht einmal auf seinen kleinen Bruder aufpassen kann. Und dann lernt er Raina kennen. Und weil wir im Comic sind, besteht Raina nicht aus tiefen Sätzen, sondern aus lauter Liebe: selten hat jemand mehr Liebe in die Zeichnung einer Frau gelegt als Thompson es hier unablässig tut. Raina lächelt, Raina schläft, Raina guckt - aus jedem Bild spricht bedingungslose Begeisterung und Verehrung.
Der zarten Liebesgeschichte mit Raina wird das triste Elternhaus und die religiöse Gemeinschaft entgegengestellt. Hier ist alles düster und bedrohlich, hinter jeder Ecke lauert die Versuchung und wird durch steinerne Humorlosigkeit in Schach gehalten. Seine Eltern und Bekannten wollen schon deshalb nicht, dass Craig Kunst studiert, weil, wie man gehört hat, da auch Menschen "ganz ohne Kleider" gezeichnet werden.
Man weiß nicht, was man an Blankets mehr bewundern soll: das erzählerische Talent Thompsons, eine Kindheit und Jugend in derart prägnanten Szenen zusammenzufassen, oder sein zeichnerisches Genie, oft mit wenigen genialen Strichen eine Stimmung wiederzugeben oder durch Landschaften ein Gefühl zu beschreiben. Dazu weiß der knapp 30jährige Thompson mit beeindruckender Sicherheit um die Erzähltechniken des Comics. Oft ist es der Seitenaufbau, die Folge von wenigen und wenig veränderten Bildern, mit denen er Freude und tiefen Schmerz ausdrückt.
Craig hat für seine Raina ein Bild in deren Zimmer an die Wand gemalt. Gegen Ende sehen wir in einem knappen Dutzend Bilder, wie eine anonyme Hand dieses Bild mit weißer Wandfarbe überstreicht, bis das Bild fast vollständig weiß übermalt ist. Es zerreißt einem das Herz.
Alex Coutts
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