GELEHRTE
Sand & Spiele Durch die Dünen der Belesenheit: ein junger Professoren-Roman Ich will gar nicht erst vorgeben, das ganze dicke Buch gelesen zu haben - schließlich behauptet Michael Roes auch nicht "Leeres Viertel / Rub 'Al-Khali" vollständig selbst geschrieben zu haben. Aber Professor der Anthropologie möchte er schon damit werden. Und ein renommierter Roman-Autor dazu. Ein Doktor der Philosophie ist er schon, und wenigstens das kann man den 774 Seiten in den ersten Monaten mühsamer Lektüre nicht direkt anmerken. Das Abenteuer beginnt vielmehr mit hingeknüllten Sätzen ("Wortkarge fahrt zum flughafen durch die nächtliche stadt") - wobei das Kleinschreiben einen großen Literaturanspruch macht - und das schwankende Adjektivieren ihn gleich wieder auflöst. Später durchreist die Hauptperson, ähnlich dem Autor im echten Leben, den Jemen auf der Suche nach den Spielen der arabischen Welt. Und unterbricht sich ständig durch halb erfundene, halb passend herbeizitierte Passagen aus einem Wüstenforscher-Reisebericht des 18. Jahrhunderts. Bis ganz am Ende eine Liste der untersuchten Zeitvertreibereien - und der benutzen Werke anderer steht. Wer bis dahin kommt, hat allemal verstanden, daß er was hätte lernen sollen von der Karawane der Gelehrsamkeit. Bzw. "dasz" - so schreibt Roes im Gegenwarts-Modus; bzw. "dass" - so läßt er seine Forscher-Folie von früher schreiben. Wirkt aber damit eher pusselig als phänomenal. Und ansonsten ausgerechnet dort phantasielos kopflästig, wo sein imaginiertes Vorbild mit Humboldt-Attitüde blutvoll geworden wäre: "Faisal wollte im Dorf bleiben, aber der Druck der Familie war stärker". Bah. Und wo es theoretisch werden müßte, da ist's nur scheinbar tief und wahrscheinlich auch noch falsch: "Spiel ist, bis in die ethymologischen Wurzeln hinein, das Gegenteil von Ernst". Kontra. Bleibt die Fülle des Materials. Im leeren Viertel, in der Rub'Al-Khali, in der größten Sandwüste der Welt, etwa in der Mitte zwischen Basra und Aden, kann man monatelang Herumlesen und -irren (Roes tat das selbst für eineinhalb Jahre) und auf Myriaden von Sandkörnern, Kulturruinen und nomadisierenden Themen stoßen. Sogar Gold könnte sehrwohl darunter sein. Aber der Gebrauch zweier Sprachspiegel (stakender Modernismus vs. montierte Damaligkeit) beim Betrachten der Funde macht kein ästhetisches Erlebnis, und kein ernstzunehmendes Ergebnis daraus, sondern bloß ärgerliche Mühe. Mag sein, daß/dasz/dass Roes, wie der Verlagsprospekt verkündet, für die Anthropologie ist, was Ecos Rose für die Semiotik war - aber die Lehre von den Zeichen ist nun mal die wichtigere Wissenschaft. Und ihr Roman bleibt das bessere Buch. WING
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Michael Roes: Leeres Viertel. Rub'Al-Khali Gatza bei Eichborn 1996, 784 S., 49.80 DM |