KRIMI-ANNALEN

After Ellis

Historische Detektive boomen, In Rom, in London und in Avenwedde. Und wir vivisektionieren ein Genre. Hier mit der italienischen Eröffnung.

Was ist bloß mit den Toten los, daß wir sie immer weiter zurückverlegen müssen? Jedenfalls zur Unterhaltung, im Buch und wenn sie ungesetzlich umkamen? Vulgo: der historische Kriminalroman boomt. Allein im laufenden Programm spielen gleich fünfe im England der zwei Jahrhunderte nach 1350 - und sind zweite bis vierte Bände großangelegter Serien.
Die lesen wir noch. Aber hinter uns haben wir den ersten Band einer neuen Detektiv-Serie im antiken Rom (etwa die sechste der letzten beiden Jahrzehnte) und den fünften der besten davon - und den wirklichen Tod der Ellis Peters, deren Bruder Cadfael, noch vor Umberto Ecos Sean von Baskerville, das alles losgetreten hat.
Die vielen Steinzeitgeschichten der letzten Neuerscheinungs-Kataloge und der Nebenschauplatz der Vampire (wir haben drei dicke Romane in Durchsicht) verstärken das Unbehagen noch zusätzlich: vergräbt sich da die U-Literatur in der rückwärtigen Ferne? Ist nach den mehrfachen Auf- und Ausbrüchen der Science Fiction (zuletzt mit Kraft und Glitzern im Cyberpunk) und - in sehr geringerem Maße - der Fantasy (solange es ihr um "altered states" von Bewußtsein und Gesellschaft ging) jetzt nur noch Reminiszentes goutabel? Kann auch der Krimi/Thriller keinen mehr hinter die Öfen der Postmoderne locken, weil die Reality längst unser täglich Tatort ward? Und statt die bessere Zukunft im bunten Genre-Flickerl-Rock zu suchen, statt des Experiments immerhin, mit Laserschwert und Zauberlupe an der Rettung der Welt herumzukonzeptionieren - finden wir nur noch die Gegenwart im Gestern, und daß es da viel spannender, weil übersichtlicher war? Womit der Trend endgültig nicht mehr im Namen der Rose antreten dürfte.
Tut er auch nicht. Barbara Hamblys Entführung aus dem Quirinal steht eher in der Sienkiewicz-Tradition. Interessant immerhin: das bis zur Denunziation reichende Gekabbel frühchristlicher Strömungen - gräßlich dagegen: der weise Papst im Untergrund, der alle Schafe liebt; reizvoll: Roms Edle & Ekel trauern noch der Republik nach, Kult-Surfen aber schon in die Dekadenz; zum Gähnen: korrupte Beamte sind die Gefahr, echte Jesus-Jünger die Rettung. Mmh, sollte sich Frau Hambly von ihren vielen alten und dunklen Fantasy-Romanen zum öden Licht bekehrt haben?
Lindsey Davis wird dagegen garantiert kein besserer Mensch. Wieso auch? Die Qualitäten ihrer Falco-Serie (Staatsferne und Spruchstärke amerikanischer tough guys hier - detailliertestes Alltagswissen über Latrinen; Gladiatoren und die freiwillige Tiber-Feuerwehr dort) haben sich sogar bei Bielefelder Tageszeitungen herumgesprochen. So kann sie in Poseidons Gold ihre dramaturgischen Fertigkeiten dazu benutzen, allerlei Zusatzspaß in Richtung "Dekonstruktivismus für Anfänger" zu treiben - wenn etwa der Detektiv beim Schadenabwenden von seiner Herzensdame einer anderen zum Aushorchen alkoholisierten den Fall evtl. gefälschter Statuen erklärt - und die clever schließt "also hast du es hier mit einem Kunstkrimi zu tun". Genau. Nur merkt man das glücklicherweise gar nicht.
Scheinparadoxes Ergebnis: je deutlicher ein historischer Krimi sein heutiges Publikum im Auge hat, desto richtiger kann er in allen Sinnen werden. Aber ob affirmative Mainstream-Produkte, die beide Bücher unstrittig sind, nun besser die Bibelkurse der moralischen Mehrheit bestätigen oder die formalen Capricen prämoderner Individual-Neurotiker - das sollen andere entscheiden. Wir jedenfalls würden., müßten wir noch einmal Latein lernen, eine Re-Translation der Davis-Pentalogie klar vorziehen.
WING
Barbara Hambly: Entführung auf dem Quirinal. Bastei-Lübbe, Bergisch Gladbach 1995 (13669) 347 S., 9.90 DM
Lindsey Davis: Poseidons Gold Eichborn, Frankfurt 1995, 520 S, 39.80 DM