RÄTSEL
Ganz alte Kamellen Lag Atlantis in der Antarktis? Und legt es sich bald wieder da hin? UFOS gibt es gar nicht, die Bundeslade steht in Äthiopien, die alten Hopis schworen schon der Atomernergie ab - und wenn wir nicht schleungigst unser Leben ändern, kippt uns der Karren Erde noch zu Lebzeiten Graham Hancocks unterm Hintern weg. Das könnte durchaus so sein, und sei es nur, weil zu viele Bücher Graham Hancocks auf einer geodätisch kritischen Stelle gestapelt stehen. Oder geomantisch ... Aber halt: der gelernte englische Soziologe und Journalist Graham Hancock ist allemal der sachlichste Spinner im Kartell der Geheimbündischen, Verschwörungstheoretiker und Esoterics. Mit einem untrüglichen Gespür für tote Pferde. So startete er etwa eine abenteuerliche Recherche nach der verschollenen Bundeslade, als Indiana Jones schon Rente bezog und dem echten Rand-Archäologen und Jones-Vorbild längst keiner mehr zuhören wollte: "Die Wächter des heiligen Siegels" wurde trotzdem ein Renner (die Bundeslade aber blieb - in Äthiopien? - verschwunden), nicht zuletzt, weil Hancock spannender schreiben kann als Däniken und seine heutigen Nachfahren (Walter Langbein etwa, der dasselbe behauptet wie Hancock, nur mir Raumschiffen und ohne Humor) - und ganz ohne Götter auskommt. Aber nicht ohne verborgene Logen, Geheimwissenschaften und rätselhafte Kulte. Huh - das wirkt. Jetzt wieder: "Die Spur der Götter" soll plausibel machen, daß rund um den Südpol und lange vor der überlieferten Geschichte, eine Hochkultur lebte - und sich mit einer Art Reaktorunfall selbst ausknipste. Nicht ohne Warnungen in Pyramidenform zu hinterlassen: eßt regelmäßig und duscht kalt, sonst kommen wir euch holen. Am Ende sitzt Hancock im Zelt eines Hopi, der schon immer alles gewußt hat, wenn man der Übersetzerin trauen kann. Und der warnt auch: das Ende ist nah. Das war letztes Jahr. Bis dahin hat Hancock fast nur altbekanntes Material neu verdrahtet, die Mayas mit den Sumerern, die Himmelsmechanik mit tausend Tempeln ... und alles ist spannend und das meiste ist falsch. Oder scheint jedenfalls so. Von Anfang an. Da kramt er die berühmte Piri Reis Weltkarte raus, die 1513 schon die eisfreien Küsten der Antarktis zeigt, obwohl die seit etwa 10000 Jahren keiner mehr gesehen haben kann und seismische Messungen erst in den 50ern einsetzten. Das ist ein Rätsel, und das war es schon vor einer Generation bei Däniken und Co., die so ziemlich jedes Faktum rund um Reis verfälschten oder mißverstanden. Trotzdem bleibt das Rätsel. Bis Hancock zu seiner vermeintlichen Verstärkung Dutzende von anderen mittelalterlichen Karten anfügte, die allesamt eisfreie Antarktis-Küsten zeigen. Damit aber ist das Rätsel andersherum als bloße Mode enttarnt, als Manie der Kartographen, die reihum voneinander abmalten, und jeder für sich ein paar Weltteile dazuerfanden. Aus dem Zufall jedoch, daß eine der ungefähr 100 weltweit namentlich bekannten Fiktiv-Inseln wirklich existiert, kann man gar nichts folgern. Außer der Desillusion, daß die Wahrheit weniger unterhaltsam ist als ein Käpt'n Hancock, der ganze drei Kapitel lang auf Piri-Reis-Literatur aus den Sechzigern herumreitet (neuere ernsthafte gibt es nämlich nicht). Ach, wer die Zeit hätte, da mitreiten zu können. Denn sowas vergnügt ungemein, es rettet nur die Welt nicht. Das bleibt, trotz Hopis und Hancocks, mal wieder an uns hängen. WING
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Graham Hancock: Die Spur der Götter. Lübbe Verlag, Bergisch Gladach 1995, 607 S., 49.80 DM |