LEO DA VINCI

Fliegerschicksal

Gleich zwei Romane wissen, wieso das große Renaissance-Genie den Hubschrauber vielleicht doch erfunden hat

Schon mitten im ersten Satz gibt George Hermans Leonardos Turm sprachlich den Löffel ab: "Commedia!" Die Bohnestange in der schwarzen Halbmaske schleuderte dieses Wort der Stadtbevölkerung entgegen wie eine Einladung zum Mahl, und das zustimmende Gelächter und die aufmunternden Rufe ... hallten ..." ach ... aber das Sujet! Schon die ausführlichen Passagen über die Wandermimen der deftigen Comedia del Arte könnten das Lesen lohnen - und die lange Fabel um Glanz und Elend des Hauses Sforza auch, wenn man Mailand im Jahre 1498 zum Hobby hat. Nur weiß man dann, daß Leonardo Da Vinci, Unterhaltungs-Ingenieur bei Hofe, keinen Zwerg hatte, der des Meisters Maschinen fliegen konnte. Und man vermutet, daß der erfinderische Meister in Wirklichkeit doch weniger mit dem menschelnden Theaterpack als mit den zahlenden Fürsten am Hut hatte. Nur müssen Romane ja nicht wahr sein.
Dieser, Hermans zweiter, endet historisch genau mit dem Untergang des Mailänder Hofes und einer Skizze möglicher Folgebände. In denen könnte der eigentliche Held, der Zwerg, dann wenigstens mit Leonardos Fiktiv-Hubschrauber über Florenz abstürzen. Wenn da nicht schon ein anderes Buch wäre.
Paul Mc Auleys Pasquales Florenz nämlich. Das spielt 20 Jahre später - und in einer Welt nebenan, in der alle Projekte Leonardos tatsächlich gebaut wurden, incl. Hubschrauber, und doch das Glück nicht vermehren. Die reaktionären Medicis haben nicht das zwischen fanatischer Religion und schwacher Republik zerrüttete Florenz zurück in die Renaissance gerettet; stattdessen wurde eine Art Manchester daraus: autoähnliche Karren rumpeln herum, Schaufelrad-Dampfer erobern die See - und 500 Jahre vor seinem verbürgten Bewußtsein entsteht das Proletariat. Eine wilde Mischung aus historischen Personen (u.a. der Lustknabe Leonardos, der bei Herman sich verschämt am Rand herumdrückt) in parallelweltlichen Situationen (wie macht sich Machiavelli als Stadtillustiertenschreiber gegen Raffael?) geht der Frage nach, was geschehen wäre, wenn Leonardo weniger gemalt und mehr konstruiert hätte. Sinnigerweise anhand eines jungen Malers, der am Ende mit dem bürgerlichen Namen der Mona Lisa auf den Lippen sich nach Amerika einschifft. Angemessen ungrammatisch aber lesbar geschrieben ist es auch, vom ersten Satz an: "Früher Morgen, kurz nach Sonnenaufgang. Der Himmel, noch nicht verdüstert vom Qualm der Gießereien und Manufakturen, im satten Blau des allerfeinsten Ultramarins für vier Florin die Unze."
WING
George Herman: Leonardos Turm Bastei-Lübbe, Bergisch Gladbach 1995 (13710) 380 S., 10.90 DM
Paul J. McAuley: Pasquales Florenz. Eichborn, Frankfurt 1995, 441 S., 39.80.- DM