GRIECHEN

Dick & Antik

Zweiter Teil der Historien-Roman-Schau: von Jason bis Helena

Man macht sich ja von der Geschichte oft eine ganz falsche Vorstellung. Daß etwa vor Erfindung des Brotes unsere Ur-Opas allesamt Bier frühstückten, wer weiß das schon? Und die Omas erst. Aber hier geht's um Griechen, alte und ganz alte. Die letzten zuerst.

Argo

Fünf Liter Wein pro Tag und Schwertarm mußte ein Abenteuer-Ruderboot damals bunkern, fürs Proto-Rafting ums Goldene Vlies zum Beispiel. Was, weil die Dosen damals noch aus Terrakotta waren, schwer ins Gewicht riß. Wovon wieder die Mitreisenden, Helden aus der ganzen bekannten Welt der Bronzezeit, dicke Arme kriegten, weil man aus Gründen der Bord-Disziplin hauptsächlich als Galeere fuhr und nur in den Trink-Pausen Segel setzte.
Derlei Dönekes liefert uns Hanns Kneifel in seinem ca. 100sten Buch und 30sten historischen Roman Die Spur des Widders, und läßt, treu seinem Ruf als Deutschlands exzessivster Gelage-Schreiber, gleich im ersten Hafen seines dicken Argonauten-Schmökers (wohl der 300ste über die wohl zweitberühmteste Sage der westlichen Welt) einen besoffenen Matrosen ins Brackwasser klatschen, nur auf der Tonspur des Erzählers allerdings.
Danach breitet sich die erste Queste aus, der erste Kultur-Konflikt, und der erste Techno-Mythos. Etwa 1200 v.Chr. sammelt ein verarmter Königssohn einen Haufen Helden in Griechenland ein, um vom östlichen Ufer des Schwarzen Meeres ein heiliges Widderfell zu mopsen. Und den Küstenschippern den Fernhandel beizubringen. Und die moderne Eisenerzeugung ins heimische Bronzezeitalter zu importieren. Und eine rasende Liebe mit Medea zu erleben, die zurück in der Zivilisation alle ins Unglück stürzt. Inklusive Jason und sein Schiff, die Argo.
Von ein paar Flüchtigkeiten abgesehen sind Klein- und Groß-Komposition des Vorhabens gelungen ("er drehte sich im Schlaf auf den Bauch und zog die Beine an" ernsthaft?), Darstellungsformbewußtsein und Fabulierlust kommen gut miteinander aus, für Freunde des TV-Raumschiffs Orion redet der Käptn zuweilen trocken daher wie weiland Cliff McLane, schläft sich wie der, und häufiger als jeder sonstige Fiktiv-Charakter weltweit sonst, im Angesicht der Gefahr erstmal richtig aus ... allerdings kriegt er häufiger Frauen ab als Cliff. Von denen lernt er dann diverses über das Leben (tritt in mannigfacher Gestalt auf) und die Götter (alle reden davon, aber keiner ist zu sehen - und alle sagenhaften Ereignisse werden plausibel naturalisiert). Den Rest hat er vorher von einem weisen Kentauren gelernt, der das halbe griechische mytholgische Personal ausbildete und auch im nächsten Buch vorkommt.

Troja

Kurz nachdem Jason von Kolchis zurückgekehrt ist, muß wohl der Trojanische Krieg ausgebrochen sein. Obwohl natürlich in Wirklichkeit beides gar nicht stattgefunden hat und es nach Sophie Chauveaus Meinung beim zweiten jedenfalls nicht in erster Linie um die von Paris nach Kleinasien entführte Helena ging. Jedenfalls erzählt ihr Schmöker "Achill, Troja und ich" statt von Wirtschafts-Soziologie in Reisekleidern von Religions-Philosophie und Gefühls-Haushalt. Ihr Ich-Bericht aus dem Munde, durch die Augen, aus dem Schoße Helenas, der schönsten Frau der westlichen Welt, handelt von der Ablösung alter Mutter-Gottheiten durch Kerls - und von der Einfuhr orientalischer Verderbnis (Klatschmohn, warme Bäder, Hexerei) in ihr weißes Stammes-Fleisch. das ist zwar nicht ganz p.c. ausgedrückt, aber dafür hat sie Spaß daran.
Im Unterschied zu Kneifel gibt es deshalb nicht nur den pferdemenschlichen Helden-Lehrer Chiron, sondern zur Bevölkerung der Matriarchen-Entthronungs-These den kompletten überirdischen Olymp. Auf den Helenen am Ende auch versetzt wird.
Schön, nicht nur wegen der ungewöhnlichen Ideen und nicht nur für notorische Mythologen und/oder Frauenliteratur-Sammler. Und trotz des im Grunde unpassend modernen Schreibstils, der aus Achill, Troja und ich eine Art "Little Big Woman" der Antike macht.
WING
Hanns Kneifel: Die Spur des Widders. Weitbrecht/Thienemann, Stuttgart 1996, 700 S., 49.- DM
Sophie Chauveau: Achill, Troja und ich. Aus dem Französischen von Brigitte Schenker. Bastei Lübbe, Bergisch-Gladbach 1996 (12459)539 S., 12.90 DM