APPETIZER

Häppchen-Literatur

Was unser Redaktions-Kaloriker so alles in sich hineinliest: Essens-Texte

Da die meisten Restaurants von Literatur so wenig verstehen wie von Nahrungsaufnahme-Kultur, findet man so selten Speisekarten mit Buchhinweisen. Weil aber ich kaum etwas außer Suppen kochen kann, gibt es hier einen einschlägigen Reste-Text-Topf.

Astronautennahrung

Nicht die in Tüten, aber auch konfektioniert: James Whites neunter Roman aus seiner uralten Weltraum-Krankenhaus-Serie. Chef de Cuisine handelt von einem vage elefantenförmigen Alien-Chefkoch, der zum klinischen Diätassistenten aufsteigt, Sushi aus Plastik erfindet - und ein kompliziertes Erstkontakt-Problem löst, indem er die neuentdeckten E.T.s vom Kannibalismus zur vegetarischen Lebensweise bekehrt. Die ist längst Standard unter den intelligenten vielrassigen Bewohnern des Orbit Hospitals; schließlich wäre man sonst nie sicher, ob der Fleischklops von gegenüber der Koch oder die Mahlzeit ist.

Malzeit

Gerade ging in Köln eine große Eat-Art-Ausstellung zu Ende - mit lauter wertvollen Bildern von Eßbarkeiten, begleitet von exorbitant teuren kunstgeschichtlichen Büffets. Wer das synästhetische (=gemischtgereizte) Vergnügen billiger haben will, muß es selber machen. Zum Beispiel mit Zu Gast bei Manet. Mit ein paar Dutzend Manet-Bildern (von "Frühstück im Freien" bis "Der Spargel") an überdimensionaler "stilvoller" Food-Fotografie irgendwie impressionistisch nachgestellter Sujets (vom "Rosen auf Polsterstuhl"-Typ) von einem führenden Life-Style-Lichtbildner (Daniel de Nève). Ist das die Farce oder das Dressing? Die Sättigungsbeilage aber ist ein netter anekdotischer Bericht über Manet, das Pariser Leben und den Umgang mit Lebensmitteln im goldenen Zeitalter. Von einer richtigen Kunsthistorikerin (Sophie Monneret). Und als Nachtisch kocht uns David Van Laer 65 Rezepte aus dem vorigen Jahrhundert vor (von Aalragout bis Zickleinkeule). Mit einem eigenen Übersetzer für die Kochanleitung: "Schweinefüße unter fließendem kalten Wasser 1 Stunde wässern". Tz tz, dann doch lieber Kartoffelsalat mit Trüffeln.

Reisespeise

Dieses Buch sollte man auf seinen nächsten Frankreich-Urlaub mitnehmen. Oder England. Oder überhaupt. Hauptsache man liest Die Lust und ihr Preis, das so tut, als seien es die Aufzeichnungen des reisenden Gentleman Tarquin Winot, der mit erlesenem Geschmack und junger Assistentin die Provence heimsucht, mit einer Familiengeschichte voller merkwürdiger Todesfälle geschlagen ist (der Haus-Koch etwa kam unter die U-Bahn) und sich nicht scheut, Ketschup zu benutzen, wenn es nötig ist. Leider hat das Buch kein Register, um die klugen Bemerkungen, snobistischen Abschweifungen und versteckten Bösartigkeiten über Tomatenmatsch, Knoblauch, Käse, gebackene Igel, Irish Stew ... oder den Zusammenhang von britischem Klima und Minz-Soße wiederzufinden. Aber man muß es sowieso mindestens zweimal lesen, um die verwickelte Story (ein bildhauender Bruder, ein Mord, oder zwei?) hinter den Lebensratschlägen (Suche Gelegenheiten, die die Anschaffung neuer Kleider erfordern) verfolgen zu können. Eine Schnurre, sicher, aber allein der Hinweis, Ratatouille sei am besten warm auf kalten Baguettes oder umgekehrt zu genießen, ist die Anschaffung wert. Am Ende fragt der vom Ex-Restaurant-Kritiker des Observer und jetzigen Vize-Chef des London Review of Books erfundene Gentleman "Kennen sie das Gefühl, einen Keks halb gegessen zu haben - und nicht mehr zu wissen wo der Rest liegt?" Lesen sie dieses Buch, um das Gefühl loszuwerden. Oder kennenzulernen.

Jahrhundert-Menü

Anthony Burgess ist tot. Seit 4 Jahren schon. Aber erst neulich (und wohl nicht als letztes, da ist noch einiges nachzuholen) erschien sein Roman Belsazars Gastmahl bei uns. In dem wird wie üblich mindestens das Jahrhundert behandelt und auf dem Wege über Dutzende zerwühlter Betten in Augenschein genommen. Aber diesmal auch per Topfguckerei. Von der volkstümlichsten Art: da haut ein Smutje mit der Pfanne um sich, da rührt eine Russin Aprikosengelee in den Schwarztee ... da entwickelt sich eine Familiengeschichte von Restaurantbesitzern und Gulaschkanonieren sozusagen in der Kochnische der Weltgeschichte. Mindestens ein Plädoyer für starke Genüsse. Aber auch eine wüst gestopfte Gänseleberpastete über walisische Nationalisten, König Artus' Schwert und die Gründung Israels. Der Smutje war übrigens ein Überlebender der Titanic.

Letzte Essen

Jetzt nochmal für Snobs. Ganz unironisch. Das letzte Dinner auf der Titanic. Zum 85. Jubiläum der Jahrhundert-Katastrophe gibt's jetzt auch auf Deutsch ein Kochbuch mit den Rezepten (behutsam modernisiert und entfettet - und im Falle des Original-Schiffszwiebacks auch noch geschmäcklerisch mit Parmesan und Kräutern zum Cracker veredelt), nach denen jährlich am 14. April ein Gedenk-Essen für geschmacklose Edel-Nostalgiker gekocht wird. Komplett mit Vorschlägen für Begleitmusik und Benimmregeln. Und einer reich bebilderten Besichtigungs-Tour durch die Speisesäle und Eßecken des Mythos-Kahns. Das hat einen gewissen Haut-Gout. Erst recht, weil ein erlebnis-gastronomischer Anhang vorschlägt, das letzte Abendmahl der Gründerzeit doch als Party-Bringer nachzuinszenieren. Mit edwardianisch up-to-date-gefalteten Servietten und Tischgesprächen in Rollenprosa. Parbleu Madame, mich deucht, euer Erbsenpastetchen hat eine Krängung.

WING
James White: Chef de Cuisine München: Heyne 1997 [4982] 379 S., 12.90 DM
Daniel de Neve/Sophie Monneret/David Van Laer: Zu Gast bei Manet München: Collection Rolf Heyne 1997, 192 S., 68.- DM
John Lanchester: Die Lust und ihr Preis. Aufzeichnungen eines reisenden Gentleman. Wien: Paul Zsolany 1996, 256 S.,
Anthony Burgess: Belsazars Gastmahl Stuttgart: Klett-Cotta 1996, 445 S.
Rick Archbold/Dana McCauley: Das letzte Dinner auf der Titanic München: Collection Rolf Heyne 1997, 135 S., 39.80 DM