FRUCHTBARE FORSCHUNG
Von Djerassi lernen Vor Jahren noch war der Mann unserem Redaktions-Akademiker im Hardcover zu leichthin - aber jetzt als zwei Taschenbücher mag WING Carl Carl Djerassi hat die Pille erfunden - und ist nicht besonders stolz darauf. 40 Jahre danach läßt seine Studentinnen lieber über "feministische Perspektiven der Low Tech-Empfängnisverhütung" forschen. Carl Djerassi, der gebürtige Österreicher und erst spät zur Literatur Berufene, nannte seine für die deutsche Ausgabe in Golf-Kriegszeiten erheblich erweiterte Autobiographie "Die Mutter der Pille" - obwohl das kalifornische Original mehr renaissance-haft als zynisch, und richtiger: "Die Pille, Zwergschimpansen und Degas' Pferd" hieß. Denn Carl Djerassi hat mehr und Unterschiedlicheres zu bieten als sein "Lebenswerk", das er wissenschaftlich eh für minder brisant hält. Aber daß ihn dessen Folgen zum Nachdenken über die sozialen Folgen der Forschung führten, und zum "weichen" Nachdenken überhaupt, das findet er jetzt wichtig. Der Weg dahin, der weder chronologisch, noch eine Bekehrungs-Geschichte (sondern die Rekonstruktion einer Entwicklung), ist nebenbei auch noch eine Reise in verschiedene Teile der Welt. Und an ein paar hübschen Beiseite-Beobachtungen vorbei (die berühmteste: wie Djerassi das Original zu MADs Alfred E. Neumann suchte, und schon 1914 fand). Der größte Teil aber ist eine Wissenschaftler-Geschichte, die mit einer Unternehmer-Geschichte verwoben ist, die eine Kunstliebhaber- und Förder-Geschichte übergeht. Und zum Entschluß, ein Schriftsteller zu werden. Und gut zu Lesen ist. Ganz wie "Das Bourbaki-Gambit", sein zweiter Roman (samt einem Erzählungsband alle bei Haffmans im Hardcover, und bei Heyne im Taschenbuch) den Djerassi gleich nach seiner Autobiographie und seiner dritten Heirat mit einer jüngeren Literaturprofessorin schrieb. Er handelt von einer Handvoll über 70jähriger Naturwissenschaftler, die von einer auch schon älteren, reichen Frauengeschichtlerin zu einem echten Betrug angestachelt werden. Die weisen Greise sollen unter einem Gemeinschafts-Pseudonym dem Rest der wissenschaftlichen Welt noch einmal unbelastet vom Ruhm zeigen, was eine Harke ist. Das gelingt fast. Und es spielt auf ein berühmtes echtes Gemeinschaftspseudonym der Mathematikgeschichte an (Nikolas Bourbaki). Außerdem enthält der kurze Roman eine Menge echter und mit nur wenig Mühe verständlicher neuer Biowissenschaft. Und den inzwischen selbst berühmten Djerassi-Touch: zwischen Mikroskopen und selbstgemachtem Zitronen-Soufflee etwa brechen die Helden in Gespräche über japanische Kettengedichte aus, am Golf von Neapel weht das Erbe Europas sie an, am Rande besuchen wir eine exquisite Erotika-Sammlung, die verknöcherten Opas lernen lesbische Kolleginnen zu akzeptieren - und am Ende schenkt sich das neue alte autobiographisch angehauchte Liebespaar eine antike Schachtel mit zwei Cyanid-Ampullen - und zwei Schlüsseln. Und schließt sie weg. Süß. Jetzt werden wir Djerassis dritten Roman, "Marx verschieden" (bisher nur als Hardcover bei Haffmans) wohl doch noch lesen. WING
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Carl Djerassi: Die Mutter der Pille / Das Bourbaki Gambit. Deutsch von Ully Mössner. München: Heyne 1996/1995 (Taschenbuch Nr. 9781/9620), 539/283 S., 19.90/14.90 DM |