SERIELL

Killer mit System

Diese Manie müßte auch mal behandelt werden: alphabetische Krimis schreiben

Es ist ein Zauber in den ordentlichsten Dingen. Gerade da; was weiß, wer einmal Peter Greenaways Filme über die Routinen der Ertränkung oder die Einrichtung von Badezimmern sah - oder das Vietnam Memorial (zu schweigen von dessen deutschen Holocaust-Gedenk-Plagiaten). Vielleicht doch eher Verhexung als Verzauberei? Magie der Liste? Mit der die Unausweichlichkeit der Form zur quälenden Inhalts-Metapher wird: hier ist kein Entrinnen?
Egal, drei Krimis mit dem Alphabet als wesentlicher Stütze im Titel liegen hier - und wir machen eine erste Tatortbesichtigung; alphabetisch natürlich.

A wie Amerika

Patricia Cornwell schreibt Gerichtsmedizinerinnen-Romane, und diesmal operiert ihre Heldin, Kay Scarpetta, von der Weiterbildungs-Akademie des FBI aus. Dort liegt zufällig auch der Fall an: ein 11jähriges Mädchen wurde sexuell mißbraucht und ermordet, mitten im ländliche, tugendhaften North Carolina. Klar, das konnte nur der reisende Serienmörder vom Fahndungsplakat gewesen sein. Ebenso klar, weil sonst das Buch nicht voll würde, daß er's nicht war. Kay kommt nur durch das Lesen winzigster Spuren bei der Autopsie darauf. Etwa der Knoten in einem Strick: "Ein Henkersknoten hat etwas Morbides, Unheimliches. Er ist ordentlich und präzise. Ich weiß nicht." Genau, wir wissen nicht. Aber wir ahnen. Und wir buchstabieren uns stockend durch das Alphabet der Toten, das früher "das Buch Gottes" oder einfach "Natur" hieß.
Dummerweise bedeuten Buchstaben gar nichts, sind Wörter mehrdeutig und Sätze mißverstehbar. Weshalb wir auch nicht ganz sicher sind, ob es reaktionär ist, daß nach vielen komplizierten Knoten am Ende einer Neben-Geschichte die lesbische Nichte der Detektivin von ihrer bisexuellen Geliebten befreit ist und sich in eine Alkoholiker-Behandlung begibt? Oder revolutionär, daß Kay weiter vorne erwähnt, "das Essen zu versalzen ist eine Form von Kindesmißhandlung, die entsetzlicherweise gar nicht so selten vorkommt"? Sicher aber ist, daß die Übersetzer einen Knall haben. Das YMCA ist konnotativ nicht das CVJM, und amerikanische Temperatur-Angaben sind denotativ was anderes als unsere Celsius-Grade. Do ya read?

B wie Bi

Der Mörder ist hier der Bisexuelle. Zufall, daß das so ineinander paßt, aber man sieht daran, daß sich die Unterhaltungsbranche näher an die Welt ranschmeißt, als es ihre Leser für gewöhnlich tun. Oder haben Sie schon mal? Egal, Sue Graftons 11ter Roman aus ihrer Alphabet-Serie (Original: "K is for Killer") ist ihr zweiter auf Deutsch. Hoffentlich werden es mehr, denn die Heldin Kinsey Millhone, Privatdetektivin, trägt am liebsten Jeans und Reeboks, schlüpft zu gesellschaftlichen Anlässen schon mal ins kleine Allzweck-Schwarze, hat ein großes Herz für schräge Menschen und eine Kodderschnauze für den ekligen Rest. Deshalb interessiert sie der eigentlich schon kalte Fall Lorna.
Die junge Frau wurde letztes Jahr tot aufgefunden, die Mutter glaubt an Mord, der stiernackige Vater will seine Ruhe, die auf die große Schwester mit Geld neidischen Töchter machen sich verdächtig, ein Pornofilmer war es dann doch nicht, die Mafia mischt sich ein, in die Lorna nach ihrer geheimen Call-Girl-Karriere einheiraten wollte ... eigentlich läßt die aufklärende Hauptfigur nur alles laufen, am Ende sogar den Mörder. Wohl wissend, daß man die Welt nicht zwangslesen kann - und daß die Mafia mit dem Killer schon korrekt verfahren wird. Die Übersetzung geht so, wenn man nicht genau hinguckt; es holpert zwar, aber Kultur-Kalauer kommen nicht vor. Hier ist das Serielle nur Mittel zur Vermarktung - und liefert - bisher nur den amerikanischen - Feuilletons Überschriften bis zum Abwinken: G ist für Grafton, M is for Murder ...

C wie Clique

Und H steht für Higson. Der Mann hat die verlorene Spielart des Chandlerismo fast drauf: "Dennis Pike hatte sich den falschen Tag ausgesucht, um mit dem Rauchen aufzuhören ... heute morgen waren die Fensterscheiben zugefroren, das Brot hart und die Milch sauer gewesen. Im Aufzug hatte ein toter Fixer gelegen, und jetzt versuchten zu allem Überfluß auch noch zwei Kids, sein Auto zu knacken". Später wird ihm auch noch das Sparbuch vom "Roten Baron" geklaut, via Datenmassage. Damit sind Gosse und E-Cash beisammen, damals und Heute.
Nun hat Pike aber auch noch eine wilde Vergangenheit (etwas wilder als wir, damals, mit dem Beutel voll gefundener Trips und dem Messerstecher in Amsterdam) und der Rest des Buches handelt von dem Unterschied zwischen Unsicherheit und Arschlochsein, Aufbruch und Zerschellen - wie bei dieser Schlägerei damals einer tot liegen blieb (bei Pike, bei uns glücklicherweise nicht), und wie das das Leben für manche änderte. Und das von Pike so sehr, daß er nach dem Retro-Trip zur genre-typischen und story-nötigen Aufklärung endgültig nichts mehr von seinen alten Kumpels wissen will, die zwar inzwischen an Computern rummachen aber immer noch nichts gelernt haben. Alphabete kommen dabei gar nicht vor, was die einzige Kritik an der Übersetzung ist. Der Original-Titel ist vielmehr "Full Whack" - also etwa "voll auf die Zwölf". Dafür handelte sein Vorgänger ("Das Museum der geheimen Leidenschaften") von den ostinaten Notaten eines Fassadenkletterers, die gegen ihn verwendet werden. Da kann man schon mal systematisch werden.
Und daß nun doch kein Buch so ganz unseren diagnostischen Listen-Einstieg erfüllt, spricht gegen weder sie noch uns. Denn ausgerechnet das Alphabet als Bild zu nutzen (wo doch "Die Sprache der Toten", "Der nächste Mord, dieselbe Dame" oder "Plusquamperfekt" inhaltlich näher gelegen hätten), beweist, daß jedenfalls die Programm-Macher republikweit die Obsession fürs Ordentliche teilen. Und für deren Umschlag vom Fliegenbeinzählen ins Gliederausreissen. Oder annehmen, euereins stände auf Fibeln des Fiesen, Lexika der Laszivität, Enzyklopädien voller Ekel und Erregung. Wiewohl die hier erwähnten Bücher vergleichsweise restaurativ, tröstend und ermutigend sind. In dieser oder jeder anderen Reihenfolge.
WING
Patricia Cornwell: Das geheime Abc der Toten Übers.: Monika Blaich/Klaus Kamberger. Droemer Knaur, München 1995, 398 S.
Sue Grafton: Frau in der Nacht Übers.: Ariane Böckler. Goldmann, München 1995 (41571) 318 S.
Charles Higson: Das Alphabet der Gewalt Übers.: Birgit Dederichs-Bain. Bastei-Lübbe, Bergisch Gladbach 1995 (13680) 347 S.