JOHN BRUNNER

Gesternwelt

John Bunner ist tot - und die Welt geht weiter unter

Es ist schon ein schlagendes Symptom, daß es kaum wer gemerkt hat; die großen Feuilletons sowieso nicht - ignorantes Mainstreampack ohne Gedächtnis - und das fannische Netzwerk der ehemals Zukunftszugewanden, löcherig wie es in den letzten 20 Jahren wurde, nur kopfkratzend: Brunner? Das war doch?
Das war, wie wahr. Und alles was er schrieb, was die Welt von ihm hielt, und er von ihr ... war ebenso auf der Höhe der Zeit, wie immer ein wenig daneben. Jetzt, wo er tot ist, müßten mithin alle seine Aktualität erkennen.
John Brunner also, John Kilian Houston Brunner, wurde 1934 in England geboren und veröffentlichte seinen ersten Science Fiction Roman noch als Schüler, unter einem bis heute nicht gelüfteten Pseudonym (es war vermutlich ein "Roy Sheldon"-Buch beim Groschenheft-Haus Hamilton). Das Genre selbst war jung und heiß auf dem Unterhaltungsliteraturmarkt, Raketen boomten, und die zweite Generation galaktischer Helden kam damals schon am Ende des Universums an, noch bevor sie auf der Erde zum Militär eingezogen wurden. Und Brunner war jünger und schneller als die meisten.
Mit Mitte 20 hatte er schon ein Dutzend Romane geschrieben, meist kosmisch imperiales Adoleszenten-Garn, war Soldat und PR-Mann für Diamanten gewesen, hatte sich der Ostermarschbewegung angeschlossen und geheiratet ... und dann beschloß er ernsthaft, vom Schreiben zu leben.
Anfang der 60er tat er dann alles, um seinen Marktwert zu ruinieren. Er ersetzte Krawall durch Charaktere (Der ganze Mensch - über einen krüppeligen Telepathen), Galaktische Reiche durch nahe Zukunfts-Szenarien (etwa Drogen in Die träumende Erde) und das SF-lineare "Ein Schuß - ein Flug"-Prinzip durch ambitionierte Schreibweisen (Die Plätze der Stadt z.B. wurde nach einem Schachspiel gebaut - und handelt von Stadtplanung als diktatorischer Sozialtechnologie). Die Leser waren verstört, die Kritiker verunsichert: richtige Literatur in der Laser-Schert-Ecke? SF ohne Raumschlacht?
Außerdem hielt sich Brunner völlig fern von der britischen U-Literatur-Avantgarde seiner Zeit; für die New Wave á la Aldiss, Ellison, Moorcock ... war er schon wieder ein bißchen zu alt, liebte zu sehr Folkmusik und fand es zu wichtig, Lieder für die Friedensbewegung zu texten, die Pete Seeger dann vertonte.
Trotzdem zündete er seine private Literatur-Bombe. 1968 erschien Morgenwelt, ein 700 Seiten Buch ohne klare Handlung, mit von Seite zu Seite wechselnden Text-Typen und Personen: ein wildes Cut-Up aus TV-Shows, Zeitungs-Schnipseln, Straßenschildern, einer Killer-Story, einem Agenten-Thriller, sowie ein paar Dutzend Kürzest-Geschichten, die das Thema umspielen - die Welt ist im Eimer, Überbevölkerung zerdrückt jeden Anstand, die Machthaber sind alle Verbrecher ...
Den Montage-Stil adaptierte Brunnmer aus der hohen Literatur seiner Schulzeit, und er schraubte in zwei Folge-Werken noch weiter daran herum: in Schafe blicken auf (mit Umweltverschmutzung anstelle der Überbevölkerung) - in Ein irrer Orbit / Das Gottschalk-Komplott (die um zwei Drittel gekürzte erste deutsche Fassung "Morgen geht die Welt aus den Angeln" gilt nicht als Brunner-Buch) geht es um Multis und Medien - und immer geht es darum, daß die Menschheit am Ende ist, Kapitalismus eine Katastrophe, Politik Dummheit ...
In den 70ern, nach einem kommerziell bedingten Rückscklag in die Raum-Abenteuer-Phase, erfand Brunner den Computer-Virus, das Hacker-Wesen und den Chaos Club: sein Schockwellen-Reiter hat für das Selbstverständnis der mit beiden Beinen in der Gosse stehenden Chips-Generation mehr getan als später Bill "Cyber" Gibson für die virtuellen Weltflüchtlinge. Wieder gab es viel Lob, diesmal etwas weniger von den Normal-Literatur-Blättern (die schrieben Computer damals noch mit K) - und wieder mußte Brunner zurück ins Garn, um sein Geld unkomplizierter zu verdienen. Er ist nicht zynisch geworden darüber, ja er glaubte vielleicht deshalb in Buch und Welt fest an Happy Endings: mal brennt ganz Nord-Amerika aus (weil die Erde nur zu retten ist, wenn man ihre größten Veschwender achtkantig rausschmeißt) mal kommen jugendliche Greenpeace-Mutanten und überzeugen alle vom Übel ihres Tuns ... etwa in seiner letzten, großen kritischen Utopie Kinder des Donners, in der Thatchers England der Gegner war. Brunners Pech war, das er mit seinen Roman-Revolten stets zu früh (in England) und zu spät (bei uns) für die passende gesellschaftliche Gegenbewegung kam, daß seine Gegner (die unsere Gegner sind) sämtlich anders besiegt wurden als er es beschrieb (bzw. auf andere Weise gewannen), daß seine Hoffnungsträger (Verstand, Jugend) komplett zum Feind übergelaufen sind - und daß seine Morgenwelten für die Hardcore-Fans zu wenig Plot und für die Mainstream-Päpste zu viel Dos Passos hatten.
So geht unsere Morgenwelt weiter unbeeindruckt aus den Angeln, wir warten auf die hochverdiente postume kommentierte Gesamtausgabe und schmunzeln über die letzten Sätze eines frühen vergleichsweise unerheblichen Brunner-Buchs (Warnung an die Welt, Original 1959, überarbeitet 1974):
"Na schön, ich denke, logisch betrachtet hat die Rettung der Erde den Vorrang. Und es gibt ja noch immer ein Morgen, dank dir." Er küßte sie flüchtig und ging in die Küche, um das Frühstück zu machen.
WING
John Brunner: Der Nachruf