Das Schweigen der Lämmer



Warum die Mainstream-Medien immer öfter die Klappe halten - in »Zensor USA« schreiben Journalisten über ihren schwierigen Job

Am 17. Juli 1996 explodierte ein Passagierflugzeug der "Trans World Airlines" mit der Flugnummer 800 vor Long Island. Auch weil das Unglück in Küstennähe geschah, gab es ungewöhnlich viele Augenzeugen, über 600. Viele von ihnen wollten gesehen haben, dass eine Art Lichtstrahl vom Meer in den Himmel ging und dort das Flugzeug zur Explosion brachte. Der Verdacht: das US-Militär hatte aus Versehen eine Zivilmaschine abgeschossen. Sowas kann vorkommen: 2001 holte die Ukraine aus Versehen eine russische Passagiermaschine vom Himmel. Das gab sie allerdings erst zu, als die Ermittler Beweise vorlegten. Beweise übrigens, die denen im Fall "TWA 800" zum Teil sehr ähnlich waren.
Die CBS-Journalistin Kristina Borjesson hat über die Recherchen zum Fall "TWA 800" ihren Job verloren. Nicht etwa, weil sie eine wilde Anhängerin der "Raketen-Theorie" gewesen wäre, sondern weil sie einfach nicht aufhörte, in dieser Richtung zu recherchieren.

In die Kreissäge

In Zensor USA (O-Titel: Into the Buzzsaw - etwa: In die Kreissäge) schildert sie nicht nur ihren Fall. Sie hat Kollegen gebeten, Aufsätze zum Theme "Freie Presse" zu schreiben, weshalb Zensor USA eine bemerkenswerte Aufsatzsammlung geworden ist, die viel mehr erklärt als nur den Mythos der "freien Presse" und wie man als investigativer Journalist ins offfene Messer laufen kann.
Da schildert ein Journalistenpaar, wie man lange und ausführlich ein Thema recherchiert, das gar nicht unstrittig ist: die Hormongabe an Kühe in den USA. Leider wandern diese Hormone auch in die Milch, und was sie dort bewirken können - das war das Thema. Nur dass nach Intervention der Molkereiverbände und der Hormonmittelhersteller der Beitrag eben nicht erschien.
Ein Ex-Drogenfahnder berichtet, warum der "Krieg gegen Drogen" zwar ein feines Medienspektakel ist, gleichzeitig aber vollkommen sinnlos. Immer wenn er an die Leute rankam, die am wirklich großen Rad drehen, stand die CIA vor der Tür und sagte: Nö, nich' anfassen, der gehört zu uns! Wer darüber schreiben will, erhält mindestens komische Anrufe.
Oder aber sein Buch wird nicht verlegt. Michael Moores Stupid white men war bereits gedruckt, als sein Verleger anrief - der 11. September 2001 war grad ins Land gegangen - und forderte Moore auf, die darin formulierten Angfriffe gegen Bush zu mildern. Außerdem sollte Moore das Einstampfen der bereits gedruckten Auflage aus eigener Tasche bezahlen. Moore war berühmt und dreist genug, das zu verhindern.
Der US-Journalist Gregg Palast berichtete aus England über die Wahlfälschungen bei der Bush-Wahl - in den USA wollte seine Berichte niemand drucken. Als er im Laufe der Recherche auf eine Firma stieß, die mit der Ermordung von 54 afrikanischen Goldschürfern in Verbindung gebracht wurde, drohte die Firma jedem mit einer millionenschweren Klage, der auch nur erwähnen sollte, dass dieses Gerücht existiert.
Überhaupt die Anwälte: der investigative Journalismus leidet vor allem unter den Haifisch-Anwälten der großen Konzerne. Nicht nur die US-Rechtsprechung ist inzwischen dort angekommen, wo es nicht wichtig ist, ob eine Behauptung oder Recherche korrekt ist, sondern wie sie zustande kam. Wer heimlich filmt, wie Supermarkt-Angestellte verschimmelte Ware mit Frischware vermischen und wieder ins Regal stellen, muß an den Konzern Schmerzensgeld zahlen, weil er sich beim Erlangen der Information nicht korrekt vorgestellt hat: "Guten Tag, ich bin Journalist und würde gerne ihre Schweinereien filmen!" - das klappt erfahrungsgemäß nur, wenn man bei Jürgen Drews eingeladen ist.

Wem gehört was?

Zeitungen und TV-Stationen gehören heute zu Medien- und Mischkonzernen, die vielfältige Interessen haben. Kritischer Journalismus macht nur Ärger, ist teuer und stört die Geschäfte. Medien-Tycoon Rupert Murdoch läßt für den chinesischen Markt Nachrichten produzieren, die dort garantiert nicht anecken - das hat er bei Vertragsabschluß der chinesischen Führung versprochen.
War Journalismus, wie einige Autoren in Zensor USA schreiben, früher eine "Dienstleistung für die Öffentlichkeit", fühlen sich Nachrichtenredaktionen heute eher der Unterhaltungsbranche zugehörig. Kritische Nachrichten stören die Aktienkurse, den Betriebsfrieden und die Atmosphäre beim nächsten Kanzler-Gespräch.
Eine eher persönlich-biographische Erklärung hat der Journalist Philip Weiss: Wo früher der abgerissene Ermittler mit Flachmann in der Manteltasche einen Scheiß darauf gab, ob sein Chef ihn mochte oder nicht, sitzen heute angepasste Anzugtypen, die mit dem System ihren Frieden gemacht haben, weil es sie gut versorgt. Weiss: "Journalisten verdienen zu viel Geld und haben zu viel an der Börse investiert, als dass sie noch die Neigung verspüren würden, fundamentale Fragen über die Machtausübung der Regierung zu stellen."

Nochmal TWA 800

Als die Augenzeugen des Flugzeugabsturzes einfach keine Ruhe gaben, produzierte die CIA (die mit den Ermittlungen gar nichts zu tun hatte) einen Trickfilm, der zeigen sollte, warum und wie die Augenzeugen einer "optischen Täuschung" unterlagen, als sie ein Objekt aufsteigen sahen. Der Film kursierte lange als Beweisstück der offiziellen Untersuchung.
Weiss schreibt dazu: "In den 1970er Jahren hätte ein von der CIA produzierter Cartoon nur Erstaunen, Zorn und Hohn und Spott hervorgerufen. Wenn die Medien die Regierung nicht verachteten, dann begegneten sie ihr doch mit einer ordentlichen Portion Mißtrauen, und hätte dann von allen treulosen Vereinen gerade auch noch die CIA einen Film verfertigt, der vorgab zu zeigen, was ganz gewöhnliche Leute mit eigenen Augen gesehen hatten, ohne auch nur mit einer dieser Personen gesprochen zu haben, dann hätte sich halb Amerika nach einem Stein gebückt."
Als Oliver Stone für den Nachrichtenkanal ABC eine Dokumentation über TWA 800 produzieren wollte, sorgte unter anderem die Nachrichtenredaktion von ABC dafür, dass das Projekt gestoppt wurde. Die Regierung hatte erklärt: Wir waren's nicht! Damit, so die Redaktion, sei für ABC der Fall erledigt.

Thomas Friedrich
Kristina Borjesson (Hg.): Zensor USA. Wie die amerikanische Presse zum Schweigen gebracht wird Mit einem Vorwort von Jean Ziegler und Gore Vidal. Aus dem Amerikanischen von Helmut Dierlamm, Thomas Pfeiffer, Werner Roller und Heinz Tophinke. Pendo, Zürich 2004, 432 S., 24,90 ISBN: 385842577X