ZEITREISE Dickes Ende Fett aus Faulheit: wie eine unwichtige Entscheidung das Leben versauen kann Hätte Chris in den Achtzigern als übergewichtiger 16-Jähriger das Angebot eines Klassenkameraden angenommen, jeden Tag mit ihm zur Schule zu joggen, wäre er schlank und sportlich geworden. Dann hätte er auch das Herz von Kathleen erobern können, seiner Traumfrau. Das Gespräch, bei dem er das Angebot ausschlug, dauerte genau zehn Sekunden - zehn Sekunden die Chris Mackenbrock das ganze Leben versaut haben. Obwohl er, nur um in Kathleens Nähe zu sein, erst der katholischen Landjugend, dann den Grünen beitritt und in Wackersdorf demonstrieren geht, kommt er über den Status des guten Freundes nie hinaus. Wäre er nicht so fett, sähe das anders aus. Außerdem wäre er dann nicht ständig den Hänseleien seiner Mitschüler ausgeliefert. Er müsste auch nicht so tun, als fände er sein Übergewicht selbst lustig und deshalb immer den Klassenclown spielen. Statt mit Kathleen kommt er dann mit ihrer besten Freundin Miriam zusammen, die er später heiratet. Doch auch nach der Schulzeit, als er für das Fernsehen Sketche schreibt und immer fetter wird, kann er Kathleen nicht vergessen. Als er vierzig Jahre alt ist steht seine Ehe vor der Trennung und er hat einen Job, der ihn nicht erfüllt. Wieder einmal wünscht er sich vor dem Schlafengehen er hätte damals das Angebot seines Mitschülers angenommen. Als er am nächsten Morgen aufwacht, bekommt er eine zweite Chance: Es ist wieder der 12. März 1983, jener Tag, an dem er die potentiell besten zehn Sekunden seines Lebens total vermasselte. Diesmal nimmt er das Angebot an. Er ist sich sicher: Sein zweites Leben wird er mit Kathleen verbringen. Mit Witz und Charme beschreibt Schmelzer aus der Sicht von Chris die Peinlichkeiten und Ängste in der Pubertät. Darin ist er so gut, dass der Leser sich zwar lachend aber auch leicht schaudernd in die eigene Teenie-Zeit zurückversetzt fühlt und mit dem unbeholfenen Chris mitleidet. Nur schade für den Protagonisten, dass sein Leben mit zunehmendem Alter nicht besser wird. Außerdem zeigt Roger Schmelzer, wie viel zehn Sekunden für das ganz große Glück bedeuten können. Auch wenn das am Ende anders aussieht als gedacht. Janne Hiller
Roger Schmelzer: Die besten zehn Sekunden meines Lebens. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009, 376 S., 14,95,-
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