ITALIEN

Leben mit der Camorra

Zehn Geschichten aus Neapel

Jedes Jahr zieht es Touristenscharen in die Stadt, in der die Pizza erfunden wurde - Neapel. Sie genießen die italienische Küche, bewundern die Castel Nuovo und den Palazzo Reale. Zwei Prachtbauten, die an eine bessere Zeit erinnern. Denn die Wirtschaft ist schwächer als in anderen Teilen Italiens und die Region leidet unter der Camorra.

Das Leben hinter der Fassade beschreibt der in Neapel aufgewachsene Autor Andrej Longo. In seinen zehn Kurzgeschichten erzählt er beispielsweise von einem Vater, der sich aus den kriminellen Strukturen nicht befreien kann. Dem nichts bleibt, als zu hoffen, sein sieben Jahre alter Sohn möge nicht werden wie er. Oder es geht um zwei Freunde, die vor die Wahl gestellt werden: Entweder du erschießt deinen Freund oder du stirbst. Eine andere Geschichte ist die einer jungen Frau. Sie soll einen Mafiaboss heiraten, obwohl sie es nicht will. Wenn sie ablehnt, wird weder sie noch ihre Familie überleben.

Für Andrej Longos Protagonisten ist der Tod oft ein schöner Traum. So auch für Savè, der berühmter Sänger werden wollte und als Versuchskaninchen für Drogen für die Camorra endet. Seine Geschichte schließt mit seinen Gedanken: "Ich versuche, den Tag rumzukriegen, in der Hoffnung, dass es der letzte ist, in der Hoffnung, dass Gott im Himmel so gnädig ist, diesen Tanz ein für alle Mal zu beenden."

Ohne die Mafia als faszinierende Outlaws darzustellen, zeichnet Andrej Longo in seinen Geschichten ein Bild von Neapel, das ohne Hoffnung und voller Brutalität ist. Mit treffender Ironie trägt jede Geschichte eines der zehn Gebote als Titel. Die Rolle des Gottes spielt jeweils die Camorra.

Janne Hiller
Andrej Longo: Zehn Aus dem Italienischen von Constanze Neumann. Eichborn, Frankfurt 2010, 154 S., 17,95