MÄNNER

Diesseits und Jenseits

Feridun Zaimoglu sucht »Zwölf Gramm Glück«

Manchmal kommt das Glück als Autounfall. In "Fünf klopfende Herzen, wenn die Liebe springt" haut's den Icherzähler jedenfalls mächtig von den Beinen als eine junge Frau ihn aus Versehen anfährt. "Ich habe mich gleich in sie verliebt, denn sie kam um vor Sorge und rechnete mit dem Schlimmsten, eine schöne Totschlägerin hätte sie abgegeben". Weil es in Feridun Zaimoglus Geschichtensammlung Zwölf Gramm Glück nie allzu dramatisch wird, lädt die Autofahrerin den Verletzten auf eine Pizza ein. Was daraus wird, wissen wir nicht, denn dann ist die Geschichte zuende. Aus diesem Prinzip der vorzeitigen Ausblende hat Zaimoglu eine kleine Kunstform gemacht. Seine witzigen Alltagsgeschichten aus Hamburg enden immer genau da, wo eigentlich der Roman des Lebens beginnen müßte. Seine Sprache ist ungekünstelt und präzise gearbeitet: "Nach Geschäftsschluß eilt sie als allererstes ins Sportcenter und lernt dort einen ganzt bestimmten Schlag Mann kennen: ein IQ weniger, und der Typ ist ein Gummibaum". Eine Geschichte handelt davon, wie zwei sich übers Telefon kennenlernen: sie ruft jeden Tag an und gibt die Domina, bis er wütend auflegt - da will sie ihn kennenlernen. Sie verabreden sich. Als er sie sieht, ist die Geschichte zuende.
Über die Hamburg-Geschichten hat Zaimoglu "Diesseits" geschrieben. Es folgt eine zweite Abteilung "Jenseits". Die ist ganz anders gearbeitet und spielt in islamischen Ländern, in Dörfern, wo die Mädchen anderen Männern "versprochen" werden und wo Kinderbelästiger einfach gelyncht werden. Der Deutsch-Türke Zaimoglu stellt diese Welten einfach gegeneinander, außer der Beschriftung "Diesseits - Jenseits" enthält er sich jeder Bewertung. Und wagt sich sogar an das Innenleben eines jungen Fundamentalisten heran, der auf der Suche nach seinem geflohenen Terror-Mentor in einem Badeort strandet, wo er sich in eine sehr viel ältere Witwe verliebt.
Die "Jenseits"-Geschichten sind düster im Tonfall, im Gegensatz zu den "Diesseits"-Geschichten fehlt ihnen jede Ironie. Man wünscht sich, Zaimoglu hätte sich umgekehrt entschieden.
Victor Lachner
Feridun Zaimoglu: Zwölf Gramm Glück Erzählungen. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004, 235 S., 17,90 ISBN: 346203362X