KNAST

Drinnen und draußen

Was nach 16 Jahren Gefängnis bleibt

Tatsächlich - da kommt eine Stimme aus dem Bienenstock, nicht bloß das dezente Sony-Summen und auch kein Loblied auf die Perfektion schlechthin, irgendwo zwischen Aikido und ZaZen. Natürlich geht's um Liebe und Tod, wie meist, genauer: Um Eifersucht mit Todesfolge. Um Schuld und Sühne. Um Freiheit und Schicksal. Es geht um 16 Jahre Knast und um das, was es mit einem Menschen macht.
Kikutani wird nach 16 Jahren Knast wegen guter Führung entlassen; ein denkbar gutherziger, fürsorglicher und weiser Staat, verkörpert durch offene, vorbildliche Bewährungshelfer, empfängt den Entlassenen, betreut ihn, führt ihn ganz behutsam wieder ein in das Leben draußen. So war also kurz vor der Entlassung die Frage des Bewährungshelfers zu verstehen: "Mögen Sie Hühner?"- Meint der jetzt sein Herz für Tiere oder seine kulinarischen Präferenzen? Falsch! Er will wissen ob Kikutani in einer Legebatterie arbeiten will, wenn er rauskommt.
Die Dimension des Anders-Schock tut sich auf beim ersten Auto/Rolltreppe/Bahn-Fahren, beim ersten Einkauf, was kostet wieviel?, was hat man heute?, was tut man, was läßt man? Zwischendurch Rückblenden: Seine Welt vor dem Verbrechen, das Verbrechen selbst, seine Beziehung zur Schuld. Kikutani hat seine Frau mit einem Küchenmesser erstochen, nachdem er sie inflagranti erwischt hat und, da der Ehebrecher schwerverletzt entkommen konnte, hat er gleich noch dessen Heim angezündet, so dass eine alte Dame, die Mutter des Lüstlings, in den Flammen starb. - das gab lebenslänglich.
Nun verhält es sich so, dass bei häufig geäußerter Reue die Chance auf vorzeitiger Entlassung steigt, aber Kikutani empfindet keine Reue, er tut nur so. Insgeheim fühlt er sich im Recht. Er konnte nicht anders handeln, er war wie fremdgesteuert, außerdem wird er immer noch wütend, wenn er an seine betrügerische Ex denkt!
Akira Yoshimura erzählt spannend, in einer feinen, aber unsentimentalen Art, schnörkellos und urteilsfrei; da ist keine Anklage, kein Buhmann, kein Mißstand, nur eine Handlung, die so ablaufen muß, weil die Leute so sind, wie sie sind. Die Charaktere bleiben schemenhaft, der Typus zählt. Trotz sparsamer Bilder entsteht eine dichte Atmosphäre, der Inhalt wird fast nebensächlich, ebenso der Höhepunkt auf der vorletzten Seite, der die ganze Zeit erwartet wird (aber nicht verraten), der kommen muß und sich dann so beiläufig ereignet wie ein fallendes Blatt im Herbst.
Frederic van Baal
Akira Yoshimura: Unauslöschlich, Beck Verlag, München 2002, 250 S., 15.- EU