FUSSBALL
Klassenerhalt Woanders wird auch gekickt - ein wahres Märchen aus Italien Am Anfang ist Skepsis angebracht. Ein amerikanischer Autor schreibt ein Buch über den Fussball. Ausgerechnet ein Amerikaner! Bei den Amis bedeutet Fussball, einen Ball (der noch nicht einmal rund ist!) die ganze Zeit unter den Armen spazieren zu tragen. Was wissen die denn schon von DEM SPIEL? Mit ihrer Sucht nach Action & Show werden sie die Erhabenheit und Eleganz von Fussball doch niemals begreifen. Oder? Und dann schreibt der Kerl auch noch einen Roman über italienischen Fussball. Jenes Land also, in dem das Spiel mit dem Ball tiefer in den Herzen wohnt als anderswo auf der Welt. Das kann einfach nicht gutgehen. Sagt ein Deutscher. Und die haben ja, wovon man sich momentan bei der Euro bestens überzeugen kann, den totalen Fussball-Durchblick ... Das Wunder von Castel di Sangro heisst das Buch von Joe McGinnis. Und, um es gleich vorweg zu nehmen, das ist ein ganz fabelhaftes Lesevergnügen. Die Geschichte handelt von einem kleinen Dorf in den Abruzzen und seinem Fussballclub. Der hat seit Menschengedenken immer sechste bis achte Liga gespielt. Aber wie heisst es so schön: Im Fussball ist alles möglich. Castel di Sangro steigt in die Seria B auf, die zweite italienische Liga, und das ganze Dorf gerät aus dem Häuschen. Mittendrin Joe McGinnis, der durch Zufall von der Geschichte Wind bekommt und sich in das Dorf und seine Zwergentruppe verliebt. Er bleibt ein Jahr in Castel di Sangro und schreibt eine Geschichte auf. Die Geschichte von einem kleinen Verein und sein Bemühen um den Klassenerhalt. Das Buch ist voller Liebe geschrieben. Für die Menschen, für das Land und natürlich für den Fussball. McGinnis, der 94 bei der WM im eigenen Land mit dem Soccer Virus infiziert wurde, macht Bekanntschaft mit der Seele der Tifosi. Er lernt kennen, was wir Europäer gemeinhin als typisch italienisch bezeichnen (und ebenfalls nicht immer wirklich verstehen). Verrücktheit, Chaos, seltsame Auffassungen von Pflicht und Ehre, Leidenschaft, Freude und Trauer. Ausserdem spielen mit: Die Mafia (naturalmente), ein Dorfpate (der gleichzeitig Präsident des Vereins ist), seltsame Geschäfte und Kungeleien sowie ein Stadionneubau. Diese wahre Geschichte wird von McGinnis wirklich wundervoll erzählt. Seine Sympathie ist echt, seine Leidenschaft für die Balltreterei und die Italiener wirkt kein bisschen aufgesetzt. Zum Schluss muss Joe McGinnis dann aber doch vor dem Wesen der Italiener kapitulieren, und zugeben dass es Dinge gibt, die er nie begreifen wird. Selbst wenn er für immer in Castel di Sangro leben würde, wäre er doch keiner von Ihnen. Und so nimmt das Buch zwar ein etwas trauriges Ende, aber eben doch ein typisch Italienisches. Mirko Puzic
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Joe McGinnis: Das Wunder von Castel di Sangro - Ein italienisches Fussballmärchen Aus dem Amerikanischen von Harald Hellmann, Kiepenheuer & Witsch Köln 2000, 489 S., 45.- DM |