MORAL

Ich und Wir

Franz M. Wuketits findet Werte überschätzt

Die Welt ist schlecht. Und gedopte Sportler, gierige Banker, schmierige Steuerhinterzieher und eklige Kinderpornographen machen sie täglich schlechter. Deshalb brauchen wir wieder mehr Werte, damit jeder sein Verhalten an ihnen ausrichtet, sagen die einen. Deshalb taugen Werte offensichtlich gar nicht zur Verhaltenslenkung, sagt Franz M. Wuketits. Der Philosoph und Evolutionstheoretiker fragt in seinem Bändchen scheinbar naiv Wieviel Moral verträgt der Mensch? und kommt zu dem Schluss: Nicht viel.

Mit großen Sprüngen und konkreten Beispielen eilt Wuketits durch die Geschichte der Evolution und der Philosophie, kreuzt Konrad Lorenz mit Friedrich Nietzsche, und hat uns bald davon überzeugt, dass Gut und Böse in der Natur nicht vorkommen, dass dem Menschen zu recht die Jacke näher ist als der Rock, und dass eine Gesellschaft mit ein bisschen banaler Rücksicht aufeinander wohl besser funktioniert als mit einem Himmel voller Gebote.

Hier und da nähert sich Wuketits sogar seinem Untertitel ("Eine Provokation"), wenn er etwa nachweist, dass der "Krieg gegen die Droge" deutlich mehr Todesopfer fordert, als die bösen Drogen selbst. Eine moralische Verurteilung der Drogen wäre also selbstwidersprüchlich, moralisch geboten wäre eher die Legalisierung. Das ist zwar nicht ganz sauber argumentiert, kann aber Stammtische schön aufregen.

Wuketits geht noch weiter und findet so nebenbei, man müsse ein beschlossenes Gesetz nicht als bindend ansehen. Holla. Natürlich hat er damit lebenspraktisch recht, aber erstens ist das doch gar keine moralische Frage, und zweitens hält er gerade Menschen für gefährlich, die sich aus moralischen Gründen über alle anderen Menschen und Regeln hinwegsetzen. Ja was denn nun?

Es bleibt ein Plädoyer fürs "leben und leben lassen" und für eine Organisation der Gesellschaft in Kleingruppen, in der die überlebensnotwendige Berücksichtigung der Interessen anderer von allein zu einem ausgeglichenen Umgang führe.

Wuketits will keine Minimal-Moral aufstellen. Er lehnt endgültige Moral-Begründungen ab, egal ob mittels göttlicher Worte oder natürlicher Vorbilder. Und er müht sich sehr, den "moralischen Individualisten" nicht als Unhold erscheinen zu lassen. Wer sich selbst über die Moral stelle, müsse auch jedem anderen das Recht einräumen, mithin müsse er etwa strikt dagegen sein, Frauen wegen Ehebruchs zu steinigen.

So eine Haltung hilft zwar nichts gegen Doper und Banker, aber Moral hilft gegen die ja auch nichts.

Wing
Franz M. Wuketits: Wieviel Moral verträgt der Mensch? Eine Provokation. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2010, 191 S., 17,99