KONSPIRATION

Spinner-Enzyklopädie

Robert Anton Wilson sortiert die X-Akten neu

JFK wurde von Außerirdischen entführt, AIDS ist gar keine Krankheit, und wenn in China ein Sack Reis umfällt, steckt garantiert das Welt-Schwurbeltum dahinter. So zwischen wahrem Kern, gefährlichem Wahn und harmloser Erklärungswut haben sich Verschwörungstheorien zu den globalen Legenden der Neuzeit entwickelt. Und Robert Anton Wilson ist ihr fleissigster Sammler und flaxenster Kritiker zugleich.
Dabei war er früher selber einer, der "das verborgene Muster" hinter dem alltäglichen Chaos als absichtsvolle Verschleierung geheimer Mächte enttarnte. Seine Illuminatus-Roman-Trilogie parodierte Anfang der 70er die Paranoia der amerikanischen Friedensbewegung: der Mann mit den besten Joints war immer vom CIA, der genau von den Russen gesteuert wurde, die er für die Drahtzieher des Rock'n'Roll hielt. Während hinter der Bühne bayerische Rechts-Mystiker schon die Gründung der USA im Auftrag der Außerirdischen geplant hatten.
Illuminatus machte damals aus politischen Veschwörungstheorien Pop. Ohne Wilson wäre "Akte X"-Erfinder Chris Carter wohl ewig Surf-Lehrer geblieben - und das Lexikon der Verschwörungstheorien wäre heute ernster, wenn nicht ganz, ausgefallen. Wilson nämlich setzt zu den echten Klassikern (die Protokolle der Weisen von Zion, die Hohlweltler, die Rosenkreuzer, die Templer, die Grals-Wächter ...) und den wirklichen Fällen (P2, FBI Gegenaufklärung ...) auch jede Menge modern Strittiges vom Quatsch bis zum Problem: Viren-Warn-Kettenbriefe sind die eigentliche Seuche, Regressions-Hypnoten erschaffen die Monster der Erinnerung erst selbst, AIDS ist entweder keine Krankheit (sondern ein Bündel verschiedener) oder man kriegt's nicht von HIV (das will nur die Medizin-Mafia, um mit AZT reich zu werden). Um dann gleich wieder kalifornisch zu scherzen: eine Abel-Theorie besagt, die bösen Vegetarier hätten die Bibel umgeschrieben, damit der gute, redliche Fleischfresser Kain als Brudermörder erscheine. "Ich bin Vegetarier," zitiert Wilson kommentarlos grinsend einen Autoaufkleber dazu "aber nicht weil ich Tiere liebe, sondern weil ich Pflanzen hasse".
Alles kann eben auch ganz anders sein. Und genau das überfordert uns, sagt Wilson: wir wollen klare Verhältnisse, notfalls auch geheim gesteuerte. Wir sehen uns lieber manipuliert als haltlos. Und im Grunde ist schon die Sprache schuld: weil sie uns Begriffe gibt, wo es nur Einzeldinge gibt, suchen wir hinter den Phänomenen immer den Typ. Und übersehen dabei in der Regel die wirklichen Verschwörungen. In Italien wurde P2 nicht von Spinnern enttarnt, in Deutschland operiert Gladio immer noch unentdeckt ...
Überhaupt: der vom Bearbeiter Matthias Bröcker hinzugeschriebene deutsche Teil ist kläglich. Ein bißchen Barschel, fast nichts zur RAF, ein Interview mit dem Autor ("Hitler war der größte Verschwörungstheoretiker") ... aus. Der verschweigt doch was.
Wilson lässt auch viel weg (etwa Umberto Ecos Pendel-Roman, das Illuminatus der 80er) und erläutert V-Themen, zu denen es eh schon zu viele Bücher gibt, nur sehr lax (Bermuda, Roswell ...). Dafür gibt es hunderte von konspirativen Internet-Adressen, mit denen man sich ganz leicht um den gesunden Menschenverstand bringen kann. Vermutlich arbeitet er damit einer Mega-Verschwörung zu, die jeden kritischen Geist in einer Informationssintflut versenken will.
WING
Robert Anton Wilson: Das Lexikon der Verschwörungstheorien Aus dem Amerikanischen von Gerhard Seyfried. Bearbeitet und ergänzt von Mathias Bröckers. Eichborn Verlag, Frankfurt/M., 402 S., 44.- DM ISBN: 3821815957