LEXIKON

Schreib mich um!

»Alles über Wikipedia« - Das Handbuch zum Phänomen

Everybody comes to Wikis, und wer klug ist, guckt auch zu einem Thema in verschiedenen Wikipedias nach. Denn das längste Umsonst-Lexikon der Welt, das als Nebeneffekt das Geschäft mit gedruckten Enzyklopädien erledigt hat, ist in seinen verschiedenen nationalen Spielarten ganz unterschiedlich frei. Die freie Enzyklopädie, an der im Prinzip jeder mitschreiben kann, hat sich weltweit auch zu einer Art Experimentierkasten für Demokratie entwickelt. Ernsthafte Nutzer wie Unterausschuss-Hanseln, Rechthaber und Apparatschiks diskutieren in kilometerlangen Threads, ob das TV-Dschungelcamp ein relevantes Thema ist. Aus der naiven Idee vom selbstkorrigierenden Wissensspeicher von allen über alles wurde eine gute Erstorientierung über vieles, die ihre Fehler durchaus stolz als Beweis dafür tragen kann, dass nicht von besser wissenden Nutzern korrigierte Artikel offensichtlich keine Sau interessieren.

All das und vieles mehr lernt man aus dem vom deutschen Trägerverein herausgegebene Handbuch Alles über Wikipedia, das nebenbei auch ein Mittel dafür ist, das spendenbasierte Non-Profit-Unternehmen zu finanzieren. Vom Gründer des Ganzen bis zu gegenwärtig aktiven Autoren und Benutzern schreiben knapp 100 Wikipedianern über die Idee, die Praxis und ihre Erlebnisse damit. Dabei sind alle durchaus gutwillig, schließlich ist dies ein offizielles Wikipediabuch, aber Kritik kommt vor. Sowohl an den etwas bürokratischen Verfahren der Qualitätssicherung, die neue Gelegenheitsautoren eher abschrecken, als auch am oft selbstherrlichen Ton in der sogenannten Löschhölle, in der von unbezahlten Wächtern inkriminierte Artikel eine Woche lang mit aller hobbyhaften Leidenschaft diskutiert werden.

Dazwischen finden sich auch schöne Geschichten wie die von der Zebrarennschnecke, die ihren ersten Artikel von einem kleinen Mädchen kriegte, das das Treiben in seinem Aquarium beschrieb. Alle fanden ihn süß und 40 Überarbeitungen später war ein ordentlicher Beitrag zur Meeresbiologie daraus geworden.

Sogar ein ganzes Kapitel kümmert sich um die "dunkle Seite von Wikipedia", die Falschmeldungen, die Unterwanderung durch Neonazis, diebekloppten Debatten darüber, ob Fernsehtürme Türme sind und wo der Bindestrich bei Wurst-Käse-Salat hinkommt. Man merkt erfreut, dass niemand sich dafür schämt, an einer Pyramide mit vielen Macken mit zu bauen.

Man soll ja sowieso nie mit einer Quelle allein zufrieden sein. Was Wikipedia gerne zugibt und was auch für das Wikipedia-Buch gilt. Aber selbst wer Material zur Kritik der selbstgemachten Vernunft sammelt, sollte mit diesem Buch anfangen. Wer nur nachschlagen will, warum die bei Günther Jauch gestellte Frage nach den Grundfarben mit Rot, Gelb, Blau falsch beantwortet ist, kommt auch ohne das Buch und mit der Wikipedia allein aus.

Wing
Wikimedia Deutschland e.V.: Alles über Wikipedia und die Menschen hinter der größten Enzyklopädie der Welt. Hoffmann & Campe, Hamburg 2011, 351 S., 16,99