AMERICAN GOTHIC

Düsteres Land

William Gays »Nächtliche Vorkommnisse« in Tennessee

Das Herz Amerikas ist ein Friedhof, in dem gestörte Hinterwäldler ihre Leichen ausgraben. So stellt uns jedenfalls William Gay seine Heimatgegend Tennessee vor. Irgendwann in den 50ern kommen zwei Waisenkinder darauf, mal bei ihrem Vater im Grab nachzusehen. Warum? Wissen wir nicht. Was finden sie? Erfahren wir nicht. Aber sie sind so entsetzt, dass sie etwas gegen den örtlichen Undertaker und sein leichenschänderisches Hobby unternehmen.

Seltsam zurückhaltend beschreibt Gay die vergrabenen Greuel gerade nur so weit, dass man sich schon selber was vorstellen muss, um sein Märchen schockierend zu finden. Dafür wird Gay weitschweifig, wenn es in die Wälder drumherum geht, in die herzlose Natur, die längst wieder über frühe Besiedlunsspuren wuchert. Noch zwei weitere Sorten Gestrüpp erschweren den Zugang zur Story. Gay läßt alle Anführungszeichen weg und schiebt zuweilen einen Erzähler ein, der mindestens 25 Jahre später Anmerkungen macht. Warum? Wissen wir nicht.

Die entsetzten Geschwister erpressen den Bestatter, der engagiert einen bekannten Totschläger, der jagt die Erpresser, schlägt eine Menge Leute tot und träumt davon, wie seine Mutter damals mit einem Messer an seinem Kinderbettchen saß. Hier draußen sind sie wohl alle schwer gestört, nicht nur die offensichtlichen Bösewichter, sondern auch alle Nebenfiguren, die im Wald vegetieren.

William Gay ist, so deutet der Klappentext an, selbst so ein Hinterwäldler, der erst spät mit dem Schreiben begann. Ob er deshalb zuweilen zu viel Bildung in seine Nebensätze packt ("die Menschen wanderten ab wie die Mayas") und manchmal seine Bilder mit zuviel Kitsch ruiniert (auf einem Friedhof bestand "die Summe aller Leben nur noch aus zwei erodierten Jahreszahlen")?

Stephen King jedenfalls fand William Gays "Twilight" (der Originaltitel ist besser, weil alles meist im Halbdunklen spielt) das gruseligste Buch des Jahres. Übrigens 2007 und nicht 2008, wie die Arte-Krimiredaktion beim Loben fand.

Wing
William Gay: Nächtliche Vorkommnisse. Aus dem Amerikanischen von Joachim Körber. Arche, Zürich/Hamburg 2009, 286 S., 19,90