JUBLIÄUM

Ästhetik des Widerstands

Der Wagenbach Verlag wird 40. Der Verleger erzählt, wie das passieren konnte.

Nur 4% seines Umsatzes macht der Wagenbach Verlag heute in der Ex-DDR. Woran auch immer das liegen mag: es wurmt den Verleger Klaus Wagenbach. Seine Bemühungen um "gesamtdeutsche" Literatur haben ihm nichts als Ärger eingebracht. In den 60er Jahren erscheinen Wolf Biermanns Texte bei Wagenbach, wodurch der Verlag in der DDR auf die Giftliste kam und seine Bücher fortan nicht mehr erhältlich waren. Im Westen brachten Biermanns Texte Gerichtsverfahren und Beschlagnahmungen ein. Dafür wechselte Biermann, erstmal hier angekommen, sofort den Verlag, wofür er sogar vor Gericht zog (der große Prinzipien-Einreiter Biermann scheint ein ganz spezieller Kumpel zu sein; ähnlich Seltsames hat auch Wolfgang Neuss berichtet, der Biermann einst seinen ersten West-Auftritt verschaffte).
Warum so verlegen? heißt die Jubiläumsschrift des Wagenbach Verlages, in der man eine Menge über Bücher erfährt, über die Linke und wie man beide zusammenbringt. 1964 gegründet, hat der Verlag die "deutschen Verhältnisse" (Wagenbachs Wortschöpfung) begleitet, kommentiert, verlegt. Es fing an mit Belletristik - da beschloß die Linke, die "bürgerlichen Erzählformen" seien jetzt aber out. Wagenbach verlegte Ulrike Meinhof und publiztierte Texte der RAF (weil er sie wichtig fand) - und wurde zu Gefängnisstrafen verurteilt. Er nannte den Tod von Benno Ohnesorg einen "Mord", wodurch sich die Berliner Polizei in ihrer Ehre verletzt sah und vor Gericht dafür Recht bekam. Er verlor seinen Verlag an ein "Kollektiv" (den späteren "Rotbuch Verlag"), und mußte wieder von vorne anfangen.
Neben der politischen Literatur hat für Wagenbach immer eines im Vordergrund gestanden: schöne Bücher für wenig Geld herzustellen ("Womit ich nicht dem wieder aufkommenden pseudo-handwerklichen Schnickschnack das Wort reden will: Büttenpapier mit eingeschöpften Blüten der Provence in lassogejagtem Oasenziegenleder", wie er schreibt). Um das umsetzen zu können, braucht es List. Das Format der ersten "Quarthefte" sollte vor allem in den Buchhandlungen auffallen; die neuere SALTO-Reihe folgt der gleichen Idee.
Wagenbach hat den Denker Pasolini nach Deutschland gebracht (dessen Thesen zur Fetischisierung des Konsums sich heute als beängstigend visionär lesen), überhaupt eine Menge schrullige Italiener. Die "Neue Geschichtsschreibung" wurde vorgestellt ("Pesthauch und Blütenduft" war damals eine kleine Sensation), auch kunsthistorische Bände sind inzwischen im Programm - die Konzentration der Verlage ließ immer mehr Titel unter den Tisch fallen, die von kleinen Verlagen wie Wagenbach zu bezahlbaren Preisen aufgesammelt wurden.
Im Moment scheint der Verlag mit A.L. Kennedy eine neue Erfolgsautorin zu etablieren (nach Erich Fried und Michel Houllebecq und Andrea Camilleri und Djuna Barnes und Boris Vian ...), Wagenbach hat seinen Verlag inzwischen verschenkt (an die langjährige Mitarbeiterin Susanne Schüssler) und geht als "heiterer Rentner" jeden Tag in den Verlag und kümmert sich um Sonderaufgaben. Wie etwa diese Jubiläumsschrift, die neben der Verlagsgeschichte viele schöne Textbeispiele von Wagenbach-Autoren enthält und eine Menge lustiger Fotos. Und für wagenbachtypische unverschämte 5 Euro zu haben ist.
In fröhlichem Tonfall erzählen Wagenbach und seine Nachfolgerin Schüssler, wie ihnen Betriebswirte und Branchenkenner immer wieder vorrechnen, dass die Zeit der kleinen Buch-Verlage vorbei sei. Dabei sind die Zeiten wirklich nicht lustig, die meisten kleinen und mittleren Verlage längst von Konzernen geschluckt, die Buchhandlungen gehören zunehmend zu großen Ketten, die mehr am schnellen Aberverkauf von Bestsellern als an einem guten Sortiment interessiert sind.
An anderer Stelle hat Wagenbach mal erklärt, warum ein Verlag vernünftiger Weise nicht mehr als 4 bis 6% Umsatzrendite erwirtschaften kann. Die neuen Buch-Konzerne rechnen mit Renditen ab 15% - man will Geld verdienen, egal ob mit Büchern, Kühlschränken oder Schnellfeuergewehren. So sehen deren Bücher allerdings dann manchmal auch aus.
Erich Sauer
Klaus Wagenbach (Hg): Warum so verlegen? Über die Lust an Büchern und ihre Zukunft Wagenbach, Berlin 2004, 160 S., 5,- ISBN: 3803124875