NATURKUNDE

Der Affe in uns

Wie wir Primaten ticken und warum Affen so menschlich sind

Frans de Waal ist der vermutlich bekannteste Primatenforscher der Welt. Erstens wegen seiner vielen leicht verständlichen Fachbücher. Zweitens wegen seiner weitgespannten Vortragstätigkeit vor Fachleuten anderer Disziplinen, vom Friedensforscherkongress bis zum politischen Think-Tank. Vor allem aber, weil er hier wie da immer klüger auftritt als seine Klappentexte.
Sein jüngstes Werk Der Affe in uns hat den deutschen Untertitel "Warum wir sind, wie wir sind" - aber es tut weit mehr, als einfach in Fußballfan-Horden schimpansische Verhaltensweisen zu erkennen oder cholerische Chefs mit wütenden Gorillas zu vergleichen. Tatsächlich findet de Waal weniger Äffisches beim Menschen als Menschliches unter Affen. Gorillas können witzig sein, Bonobos können lügen, Schimpansen können Pläne für die Zukunft machen. Alle können sich schämen, wenn sie bei einem Unrecht ertappt werden, und alle können Heldentaten vollbringen, die sich nicht einfach mit egoistischen Genen erklären lassen, sondern nur mit gesellschaftlicher Perspektive.
Das ist de Waals größte Leistung: von schnurrigen Dönekes aus der eigenen Forschung zuweilen mitten im Satz zu einer Kritik der eigenen Wissenschaft und ihrer Verwendungs-Geschichte zu wechseln. Mal "bewiesen" Affenforscher, dass nur der Mensch Moral hat, die Natur aber gnadenlos sei, mal argumentierten Politiker, dass "Gier" natürlich und Sozialhilfe undarwinistisch sei. Und Hippie-Anthropologen feierten die friedliche Bonobo-Gesellschaft, in der jeder mit jedem Sex hat.
Wohl wahr, Schimpansen sind rabiate Machtpolitiker, um Sexprobleme zu lösen (nur die Starken pflanzen sich fort). Dagegen sind Bonobos promisk, um Machtfragen zu lösen (was sich reibt, das teilt sich auch das Essen). Unsere Männer haben kleine Hoden, weil wir die Kleinfamilie erfanden, Affenmänner haben dicke Hoden, weil sie in Samenkonkurrenz zu ihren Nachbarn stehen. Schimpansen-Männer können Morde begehen, Bonobo-Frauen Zickenkriege entfesseln, und beide Spezies können Frieden schließen. Wir gehören, schließt de Waal, zu einer genetischen Familie, die weit mehr Optionen in ihrem Erbgut hat, als es den Ideologen passen mag.
WING
Frans de Waal: Der Affe in uns. Warum wir sind, wie wir sind Aus dem Amerikanischen von Hartmut Schickert. Carl Hanser, München 2006, 368 S., 24,90. ISBN: 3446207805