KINDHEIT
Unsterblich in Albanien Die Fotografin Ornela Vorpsi erinnert sich an ihre Kindheit Es gibt im Albanischen kein Wort für Bescheidenheit, schreibt Vorpsi, und das kann in der Entwicklung eines Volkes sonderbare Auswirkungen haben. Seltsam zeitlos - darin an Das große Heft von Agota Kristof erinnernd - beschreibt die heute prominente Fotografin und Videokünstlerin ihre Kindheit in Tirana, der Hauptstadt und dem einzigen Ort in Albanien, wo man leben kann. Das ganze Land arbeitet nur für die Metropole, dementsprechend verhasst sind die Stadtbewohner bei der Landbevölkerung. "Außerhalb Tiranas gibt es nur eine Sorte Brot", schreibt Vorpsi. Das ewige Leben der Albaner wird mit der Stimme eines Kindes erzählt. Und wir lernen, dass jede schöne Frau grundsätzlich als Hure angesehen wird (nur die Häßlichen sind vor Verdächtigungen sicher) und dass ein absurder Machismo die Frauen zur Ware macht Als Mutter und Tochter den Vater im Gefängnis besuchen wollen, versucht der sie mitnehmende LKW-Fahrer völlig schamlos und selbstverständlich, die Mutter zu küssen. "Das Land, in dem die Leute nicht sterben" (so der doppeldeutige Originaltitel) ist deprimierend, absurd, grausam. Es ist dies auch durch eine orwell'sche Omnipräsenz einer anonymen Partei. Vorpsi lässt dennoch keinen Zweifel daran: Albanien ist auch ohne Kommunismus unerträglich. Einmal spielen die Erzählerin und ihre Cousine im Garten und fechten mit langen weißen Stöcken, bis die Großmutter vollkommen entsetzt auftaucht und die Stöcke einsammelt. Es waren die Oberschenkelknochen eines im Garten vergrabenen Onkels, der mit 17 als Deserteur erschossen worden war und der nicht ordentlich begraben werden durfte, weshalb Oma seine Knochen damals in einer Amphore versteckte. Am Ende fällt der Eiserne Vorhang, auch Albaner dürfen das Land verlassen. Sie stehen in Italien, als abgerissene, irgendwie peinliche Flüchtlinge. Und stellen fest: Hier, im Ausland, sind sie sterblich, hier können sie getötet werden. Und kehren ganz schnell wieder nach Albanien zurück, in ein Land, über das man auch heute kaum etwas weiß. Ornela Vorpsi ist ausgewandert, lebte erst in Italien, heute in Paris, und ist eine weltweit anerkannte Fotografin und Video-Performancerin. Das ewige Leben der Albaner ist ihr erstes Buch, das sie "Roman" nennt. Man darf sicher sein, dass sie nie wieder in diesem Land wird leben wollen. Victor Lachner
Ornela Vorpsi: Das ewige Leben der Albaner. Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl. Zsolnay, Wien 2007, 139 S., 14,90 |