FABULÖS

Tierisch Liebe

Alessandro Boffas animalische Liebesgeschichten

Der alte Aesop rotiert gewiß im Grab: Was der gelernte Biologe Alessandro Boffa in der Fabelsammlung Viskovitz, du bist ein Tier erzählt, hat wenig mit der alten Besinnlichkeit der klassischen Fabel zu tun. Hier geht es nur um Liebe.
Bei Boffa hören wir etwas von dem Skorpion Viskovitz "mit dem schnellsten Stachel im Westen", dessen aggressive Triebe verhindern, daß er sich paart. Kaum kommt ein Weibchen - zack! hat sie seinen Stachel im Hirn und endet als Lymphflüssigkeit. Ganz gegen sein Willen. Bis Ljuba kommt. Ljuba ist schön, gefährlich, und sie sagt gleich zu Anfang: "Mach dir nichts vor, ich bin gekommen, um dich zu töten". Dann stürzen sie sich aufeinander - und kopulieren was das Zeug hält. Ganz gegen ihren Willen. Beide sind verwirrt. Und fürchten sich: wenn aus ihren Killergenen mal kleine Skorpione werden sollten, sind sie nur noch Erinnerung.
Oder wir lesen die Geschichte von dem verlausten, zeckenbesetzten Ex-Drogenhund Viskovitz, der über den Tod der schönen Polizeihündin Ljuba nicht hinwegkommt. Oder die vom Schwamm, der sauer darüber ist, daß er weder richtig Pflanze noch Tier ist und nicht zu seiner geliebten Ljuba kommen kann: "Das Drama, eine Pflanze zu sein, war die Unmöglichkeit, sich umzubringen. Der Vorteil, ein Schwamm zu sein, war die Möglichkeit, einen darauf zu trinken."
Diese Liebesfabeln haben den Charme, die biologische Besonderheit des jeweiligen Tieres mit einer entsprechenden Stilparodie zu verbinden: der Skorpion als Held einer Western-Erzählung, der Hund als Protagonist eines Cop-Thrillers, und was böte sich mehr für ein herzzerreißendes Melodram an als die Geschichte einer Schnecke, die ein halbes Jahr brauchen wird, um die Geliebte zu erreichen?
Boffa hat sich nicht damit begnügt, ans Herz gehende Parodien zu verfassen, jede seiner Geschichten hat ihre eigene Pointe, ihre Climax. Etwa die vom Siebenschläfer Viskovitz, der sich träumend in eine Paradies-Welt mit der schönen Ljuba flüchtet - bis sie ihm am Ende seines Traumes lächelnd beichtet, daß eigentlich sie ihn "erträumt" hat. So schön kann Liebe sein.
Die letzte Geschichte, "Du bist ein Tier, Viskovitz" geht fast ohne Liebe und handelt doch von nichts anderem. Die Mikrobe Viskovitz erhält vom göttlichen Plasma den Auftrag, sich in ein Tier zu verwandeln. "'Es werde ich ...' schrie ich. Gut, sagte ich mir, großartig, jetzt hält mich keiner mehr auf, jetzt ist der Augenblick gekommen, allen eine Lektion zu erteilen. Diebisches Ökosystem! 'Bravo, jetzt bist du ein Tier', beglückwünschte mich die Stimme, 'aber eine Sache mußt du noch lernen ...' - Laß hören. Die Meiose? Die Fermentation? Die Ontogenese?' - 'Den Tod, Visko.' - 'Du machst Witze.' - 'Du bist keine Mirkobe mehr, Visko. und Tiere sterben.' - 'Einen Moment, Freund, einen Moment ... Ich soll auf alles verzichten?' - 'Auf alles.'"
Damit schließt sich der Kreis. Daß wir die Liebe nur bekommen wenn wir sterblich sind - schöner kann man diese Viecherei nicht beenden.
Victor Lachner
Alessandro Boffa: Viskovitz, du bist ein Tier. Fabelhafte Liebesgeschichten Aus dem Italienischen von Ulrich Hartmann. Malik bei Piper, München 1999, 184 S., mit Illustrationen von Nanabozo, 29,80 DM