POLEMIK

Das Archiv des Irrenhauses

Dimitri Verhulsts böse Kulturgeschichte

Es begann mit dem Wunsch, das Wasser zu verlassen. Und es endet mit dem Abwurf der ersten Atombombe. Dazwischen liegen Gottverdammte Tage auf einem gottverdammten Planeten, die der Belgier Dimitri Verhulst auf 160 Seiten in einem wütenden Parlando zusammenfasst.

Sein Held ist "Es". "Es" verlässt den Ozean des Lebens, um fortan Unglück über das Land zu bringen. "Es" vögelt sein Weibchen von vorne, damit es den Ekel in dessen Gesicht sehen kann. "Es" erfindet Götter, damit man Sklaven, Frauen und Kinder in ihre Schranken weisen kann. "Es" baut Häuser und Städte und erschlägt den Nachbarn, damit es selbst genug zu essen und zu vögeln hat. "Es" nutzt sein Hirn für seltsame Schlussfolgerungen: "Es schneidet Kröten den Kopf ab und stellt fest, dass die geköpften Viecher sich immer noch mit den leckeren Hinterbeinen am Rücken zu kratzen versuchen, wenn man Säure darauf gießt. Darüber kommt es zu dem Schluss, dass sich eine diffuse Seele im Rückgrat befinden muss. Das war ja einfach!"

Seit seinem Roman Die Beschissenheit der Dinge (dessen Verfilmung ab Mai zu besichtigen sein wird) gilt Verhulst als Meister der aggressiven Menschenverachtung. Der hat er in diesem Essay wider die Menschheit stilistisch beeindruckend, faktisch nicht immer sattelfest, weiten Raum gegeben. Es gibt ein paar Sätze, die andeuten, dass die Geschichte auch aus Opfern besteht, denen, bei Bedarf, auch Verhulsts Mitleid gilt. Aber grundsätzlich ist Menschengeschichte Tätergeschichte.

Die Kapitel enden immer wieder mit der rhetorischen Frage nach inzwischen ausgestorbenen Tierarten. Der Mensch als Ausrotter seiner Mitgeschöpfe - das ist nicht das stärkste Argument gegen eine Erdgeschichte, in der nur ein Bruchteil der ausgestorbenen Arten auf die Anwesenheit des Menschen zurückzuführen ist. Aber es geht hier mehr um Schuld als um Zahlen. Wuchtiger und beeindruckender ist Verhulst in seiner maßlosen Kulturkritik. Die Enzyklopädie der Aufklärer ist für ihn nichts weiter als das "Archiv des Irrenhauses". Mit der Fähigkeit, den Planeten in die Luft zu jagen, übernimmt "Es" das Amt von Gott (von dem Verhulst viele Seiten vorher auch nicht viel gehalten hat).

Wo alles so übel beginnt und übel endet, stellt sich die Frage nicht, ob sich die Menschheit zum Positiven entwickele. Immerhin bringt sie amüsante Bücher über sich selbst hervor.

Thomas Friedrich
Dimitri Verhulst: Gottverdammte Tage auf einem gottverdammten Planeten. Eine Beschwerde Aus dem Niederländischen von Rainer Kersten. Sammlung Luchterhand, München 2010, 160 S., 8,-