KOPFBALL Rasen-Halma Metin Tolan weiß »So werden wir Weltmeister« Seit Jahren macht sich Physik-Professor Metin Tolan einen Spaß damit, "unwürdige" Gegenstände ernsthafter physikalischer Betrachtung zu unterwerfen. Welchen Bremsweg hat die Enterprise? Kann James Bond fliegen? Was hat der Ausgang eines Fußballspiels mit dem atomaren Zerfall zu tun? Zur letzten Fußball-WM wurde er gar mit einer Witz-Formel berühmt, die statistisch präzise vorhersagte: "Deutschland wird Weltmeister". Es kam dann doch anders. Nun ist wieder Weltmeisterschaft und Metin Tolan hat seine Formel noch einmal überarbeitet. Ernst ist sie noch immer nicht gemeint. Das nimmt ein bisschen den Effet aus dem Buch, das sich sonst ganz wissenschaftlich mit dem Rasengeschehen auseinandersetzt. Immerhin stimmt der Untertitel Die Physik des Fußballspiels auch nur zur Hälfte. Meistens nämlich treibt Tolan Statistik. Aus Tausenden Tabellen werden abertausend Wahrscheinlichkeiten abstrahiert, Niederlagen nach 1:0-Führung von Heimspielen in Unterzahl abgezogen, und Menschheitsfragen präzise beantwortet, etwa warum Fußball spannender als Handball ist: Wo weniger Tore fallen, gewinnen nämlich nicht immer die besten, und die Tabelle bleibt relativ dicht beisammen. Richtige Physik gibt's auch. Wie schießt man eine Bananenflanke? Hätte das Wembley-Tor flugphysikalisch überhaupt drin sein können? Kann man absichtlich die Latte treffen? Dann ist Tolan schnell wieder bei statistischen Analysen. Eine der beunruhigendsten enthüllt, dass deutsche Profis deutlich überproportional häufig Herbstgeborene sind. Da wirkt aber kein astrologisches Geheimnis, vielmehr fangen Fußballkarrieren in Deutschland in der Schule an, und da sind Herbstkinder eben bis zu 11 Monate älter und körperlich reifer als ihre Klassen- und Mannschaftskameraden. Folglich fallen sie eher auf, fahren auf Lehrgänge und werden Profis. Die jeweils jüngeren Talente bleiben dagegen unentdeckt. Ein Skandal! Da schlummern Ressourcen! Tolan schlägt vor, die Talentsuche kalendarisch zu entzerren. Überhaupt schlägt Tolan viele spannende Änderungen vor. Man könnte etwa einen Feldspieler entfernen, weil die übrigen 9 dann wieder mehr zuschauerfreundliche Kombinationen spielen müssten. Man könnte auch das Elfmeterschießen vor die Partie legen, damit ein Unentschieden in der Verlängerung uninteressant wird. Aber man sollte auf keinen Fall Schiedsrichterkameras und elektronische Ballverfolgung einführen, weil Fußball ohne Ungerechtigkeiten langweilig würde. Das ist allerdings noch nicht physikalisch abgesichert. Wing
Metin Tolan: So werden wir Weltmeister. Die Physik des Fußballspiels. Mit 80 Grafiken und Abbildungen. München: Piper 2010, 368 S., 16,95
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