TITANIC

Wasser im Ohr

Jetzt geht das Märchenschiff als Hörfunk-Feature unter - mit dem deutschen Orson Welles am Ruder

Eigentlich ist es ja schon mehrfach grundiert. 1912 in Wirklichkeit, schon 1 Jahr vorher, unter anderem Namen, in einem amerikanischen Modernismus-kritischen Zeitungsroman, und seitdem immer wieder in Büchern und Filmen. Und im Radio. Die Titanic war, im Meer der Medien, nicht umzubringen.
Jetzt aber könnte ein Hörbuch den Jahrhundert-Dampfer endgültig ins ewige Dock schicken. Und dafür einen vergessenen Meister-Erzähler wieder ins Gedächtnis heben: Joseph Pelz von Felinau. Dessen Titanic - Die Tragödie eines Ozeanriesen war Anfang der 60er ein Millionen-Seller-Roman in Deutschland - und wurde kurz danach ein legendäres "Hörbild". Dann kam das Fensehen - und Felinau verschwand.
Mitte der 80er entdeckte ein Musik-Redakteuer von RIAS Berlin die zerbröselnden Original-Bänder, restaurierte sie, warf historisch Unhaltbares weg, stretchte das Mono-Material auf Stereo - und lud den kargen Charme des gehobenen Schatzes mit Effekt-Musik bis über die Bordkante auf. Geriet aber resonanzmäßig in ein Zwischentief des Titanic-Trends.
Im Kielwasser des Cameron-Erfolgs-Films versucht der HörVerlag nun die dritte akustische Auswertung des Dramas. Hoffentlich gelingt sie. Obwohl sie nicht gelungen ist.
Das Original nämlich ist ein paar nasse Ohren wert. Allein schon Pelz von Felinaus Stimme, knarzend wie ein Deck in der Dünung, feinnervig wie die Takelage der Träume ... durchaus auch seine Versuche, mit unterlegten Schiffsgeräuschen, Morsezeichen und Musikfetzen die Erzählung plastischer zu gestalten ... und vor allem sein Talent, das große Drama in kleinen, erfundenen Szenen nachzubilden. Wie der Liftboy der Titanic, ausgeschlossen vom High-Society-Trubel, einsam in seiner Kabine ertrinkt ... wie der heldenhafte Funker weiter S.O.S. morst, während ihm ein schurkischer Heizer die Schwimmweste von Leibe stiehlt ... alles Kitsch, alles unmodern, aber fast alles großartig.
Fast nur großtuerisch dagegen ist die Bearbeitung. Auch wenn ohne die kaum wer heute noch von Felinau hören könnte. Was Klaus P. Hanusa seinem Fund an Musik und Kommentar zusetzte, das ist meistens überflüssig. Und fast immer zu wenig. Von 1930 bis 1960 sei Pelz von Felinau ein Phänomen der geistreichen deutschen Abenteuer-Unterhaltung gewesen - aha - und war da sonst nichts? Und wenn wir schon kein kritisches Porträt der Person kriegen (was sogar themennah möglich gewesen wäre: immerhin drehten die Nazis auch einen Titanic-Film) - warum dann die Bewunderungs-Bearbeitung auf nur 4 (die Titanic-Originale) von "hunderten" von Ton-Bändern beschränken, die Hanusa im Keller der Felinau-Witwe fand?
Joseph Pelz von Felinau war immerhin der Orson Welles der deutschen Radio-Geschichte. Und sein der Wiederveröffentlichung noch immer harrender "Brand in der Mailänder Scala" etwa gilt allen, die mit dem Radio statt dem Fernsehen aufwuchsen, als nie wieder erreichter Gipfel des Action-Mystery-Kinos im Kopf. Dagegen ist die Titanic eine Schaluppe.
WING
Joseph Pelz von Felinau: Titanic - Die Tragödie eines Ozean-Riesen. Bearbeitet von Klaus P. Hanusa. München: HörVerlag 1998, 1 MC, 93 Min., 25.90 DM ISBN: 3895844853