RUSSLAND

Katastroika

Die wahre Geschichte einer russischen Tigerjagd

Anfang Dezember 1997 wird der Wildhüter Juri Trusch im russischen Fernen Osten in das Gebiet Primorje nahe der Grenze zu China gerufen. Er leitet ein Team der "Inspektion Tiger", die, mit umfassenden Vollmachten ausgestattet, Wilderer dingfest und Konflikte zwischen Menschen und Tigern lösen soll. Nun hat einer der wenigen noch in der Taiga lebenden Amur-Tiger im Wald einen Mann angefallen und getötet. Bei der Untersuchung vor Ort kommen Trusch und sein Team zu einem schockierenden Schluss. Der Tiger hat sein Opfer, den Gelegenheitswilderer Markow, gezielt verfolgt und in einer sorgfältig geplanten Tat getötet und aufgefressen. Die Hoffnung, dass es sich um einen einmaligen Zwischenfall handelt zerschlägt sich, als das Raubtier ein paar Tage später erneut zuschlägt. Das bedeutet, dass Trusch das Tier in der unwegsamen Wildnis finden muss.

Was nach einem Horror-Thriller klingt hat sich 1997 in Russland tatsächlich so ereignet. In seinem akribisch recherchierten Thriller Der Tiger zeichnet John Vaillant minutiös die dramatischen Ereignisse nach. Respektvoll beschreibt er die vom Aussterben bedrohte größte Tigerart der Erde und ihren einzigartigen, von extremen klimatischen Gegensätzen geprägten Lebensraum. Ebenso respektvoll betrachtet und analysiert Vaillant auch das harte Leben der Menschen in der Region. Die im Westen so begrüßte Perestroika nennen sie hier nicht ohne Grund Katastroika. Der danach einsetzende Kleptokapitalismus zerstörte den bescheidenen Entwicklungsstand der Region und warf sie in vormoderne Zeiten zurück. Die Menschen leben von der Hand in den Mund und müssen in die Wälder gehen, um sich mit Lebensnotwendigem zu versorgen. Das führt unweigerlich zu Begegnungen und Konflikten mit den dort lebenden Tigern.

Es gelingt John Vaillant in Der Tiger hervorragend Spannung mit Information zu verbinden und es so zu einem wirklich lesenswerten Buch zu machen.

Olaf Kieser
John Vaillant: Der Tiger. Aus dem Amerikanischen von Dagmar Mallett, Karl Blessing Verlag, München 2010, 432 S., 19,95