PHILOSOPHIE
Tropfen & Steine
Ein Hausbuch der Denkansätze
Den besten Witz klärt der Professor erst im Nachwort auf: "Humanwissenschaften" heissen heute gerade die strengen Naturwissenschaften vom Menschen (von Genetik bis Gymnastik), aber wir haben gerade, größtenteils mit Gewinn, einen Crash-Kurs in ziemlich traditionellen Geisteswissenschaften hinter uns gebracht. Dass jene die eigentlichen "Menschenwissenschaften" sind, hat der listig abweichende Wortgebrauch allein durch Ausbleiben von Widersprüchen beinahe bewiesen.
So clever ist Jochen Hörisch nicht überall. Der schlagende Scherz über die neulich noch moderne Taktik, alle ernsten Probleme irgendwie in Sprache und Kommunikation zu verschieben, rutscht ihm gleich mehrmals raus: "Woher soll ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage?".
Er präsentiert drei Dutzend Denkschulen in knappen Übersichten, einfach am Alphabet entlang. Zwischen Analytischer Philosophie und Zivilisationstheorie hat so das letzte halbe Jahrhundert Platz - ohne damit restlos aufgeklärt zu werden. Hörisch findet vielmehr gerade das Vorläufige erhaltenswert, zieht die lokale Notfallversorgung im Geiste jedem globalen System vor. Seine Apotheke präsentiert Theorien von der Dialektik der Aufklärung bis zum Strukturalismus, vom Kritischen Rationalismus bis zur Dekonstruktion als Schlangenöl für Denkschmerzen. Jede Philosophie behandelt bestimmte Probleme, will Heilung versuchen, nicht Heil versprechen. Gute Philosophie wirkt, ist aber deshalb nicht wahr. Sie muss auch nicht gut schmecken. Adorno etwa macht immer noch viel Arbeit - und Sinn; Feyerabend dagegen ist einfach, hilft aber kaum noch, obwohl die anarchistische Erkenntnistheorie Recht hatte.
Leider klimpert Hörisch zuweilen arg sprachakrobatisch herum, was dem Ernst des Anliegens etwas schadet. Er ist stilistisch näher an Sloterdijk als an Kant und gleichzeitig inhaltlich näher an Wittgenstein als an Popper, wem das was sagt.
Lobbyisten einzelner Denk-Tinkturen finden Hörischs philosophischen Pschyrembel natürlich oberflächlich; und ausgelassene Fraktionen (die guten Pragmatisten genau so wie die "Ende der Geschichte"-Schwätzer) müssen sich eben bei der Krankenkasse beschweren. Sicherheitshalber sollte kein Student daraus zitieren. Aber alle sollten es lesen. Etwa ein Kapitel pro Woche, nach dem Fitness-Studio-Termin, statt Fernsehen. Nicht als Lebens- sondern als Denkhilfe.
WING
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 Jochen Hörisch: Theorie-Apotheke. Eine Handreichung zu den humanwissenschaftlichen Theorien der letzten 50 Jahre, einschließlich ihrer Risiken und Nebenwirkungen. Andere Bibliothek, Eichborn, Frankfurt 2004, 318 S., 28,50. ISBN: 3821845309
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