TEMPLER

Der leere Gral

Das kleine Handbuch zum großen Mysterium

Wer in seinem Leben nur ein Buch über die Templer lesen will, sollte es mit diesem versuchen. Zwar ist Martin Bauers Die Tempelritter - Mythos und Wahrheit offensichtlich von einer Familienbande lanciert (Gertrud Bauer ist Redakteurin beim Heyne Verlag, Julia Bauer ist freischaffende Buchkonzeptionärin); zwar finden echte Historiker ein Literaturverzeichnis von ganzen 21 Titeln sicher sträflich - und ein Sachregister fehlt auch ... aber dafür hat man die ganze Geschichte des - und fast alle Geschichten um das europäische Erz-Geheimnis in einem Band. Der vor allem durch seinen unaufgeregten Ton für sich einnimmt.
Martin Bauer spreizt sich nicht damit, jetzt "endlich die ganze Wahrheit" zu erzählen; er läßt im Unklaren, was man schlicht nicht weiß; er gibt vorsichtig zu Bedenken, wo gemeinhin entschieden so oder so interpretiert wurde .... und am Ende sind wir etwas klüger - und das Rätsel ist etwas größer.
Vor ziemlich genau 900 Jahren eroberten christliche Truppen Jerusalem. Und gingen größtenteils sofort wieder nach Hause. Die Einwohner der besetzten Gebiete raubten fortan Pilgerzüge aus - bis verschiedene Mönchs-Orden Schutzstaffeln bildeten: die Johanniter den Sanitäter in Waffen, die Templer den Soldaten mit der Bibel im Tornister. 300 Jahre lang wogte Schlachtenglück und Politik-Geschick hin und her (in der Regel waren die Christen dabei brutaler und ungeschickter als die "Ungläubigen"), dann fiel Jerusalem (schon 1187) und das ganze "heilige Land" endgültig an die Heiden - und die Templer endeten auf dem Scheiterhaufen der Inquisition. Das sind die Fakten.
Die Sage aber begann erst. Hatten die Templer etwas mit dem Gral zu tun? Einer Legende, die an den Bahnhofsbuchhandlungen des 13. Jahrhunderts etwa dem heutigen UFO-Trend entsprach? Hatten sie den Tempel Salomons ausgegraben und alle Weisheit der Welt für sich behalten? Hatten sie überlebt und später die Freimaurer gegründet? Haben sie sich selbst aufgelöst, um im Untergrund an der Weltherrschaft zu werkeln? Haben sie die französische Revolution erfunden, weil ein französischer König ihren letzten offiziellen Großmeister verbrannte? Woher stammte ihr sagenhafter Reichtum? Und warum hat ihn bis heute keiner gefunden? Und gibt es die Johanniter nur deshalb noch, weil es nie irgendwelche Gerüchte über sie gab? Es gibt keine Beweise dafür oder dagegen, aber es gibt genügend Indizien, die Templer-Geheimnisse wie Stadt-Legenden zu betrachten: nichts stimmt, aber alles paßt zu den Seelenlagen des Zeitgeists.
"Die Templer sind immer dabei" zitiert Martin Bauer im Vorwort aus Umberto Ecos furiosem, intelligentem (und daher notwendig ungläubigen) Groß-Rätsel-Roman Das Foucaultsche Pendel - um am Ende dem großen alten Mann der Mittelalterforschung Recht zu geben (Jacques Le Goff): die einzige gegenwärtig greifbare Spur der Templer, ja der Kreuzzugs-Epoche überhaupt ist die Aprikose. Bauer setzt als einziges ideengeschichtliches Überbleibsel noch "Europa" daneben. Tatsächlich waren die Templer die erste relativ dauerhafte internationale Organisation - und die Kampagne zur Einführung des Euro hat so unsachlich-ideologische Züge wie die Kreuzzüge. Da bleibt uns nur zu ergänzen, daß die einzige sprachgeschichtliche Errungenschaft der Tempelritter der Mischmasch ist - wörtlich ins muselmanische übersetzt: Aprikosensalat.
WING
Martin Bauer: Die Tempelritter. Mythos und Wahrheit Heyne Verlag [581], 288 S., 16.90 DM