UNSICHTBAR

Graues Licht

Henning Mankells Flüchtlings-Satire »Tea-Bag«

Wie so oft bei Mankell, ist auch Tea-Bag kein wirklich gelungener Roman. Er enthält viele Geschichten, vollkommen unterschiedliche Stimmungen und Stile, und eigentlich hat er gar keine richtige Handlung. In Tea-Bag allerdings macht das, gewollt oder nicht, den eigentlichen Reiz des Buches aus, denn darum geht es: um viele nicht beendete Geschichten, um vollkommen unterschiedliche Lebenswelten und dass das größte Abenteuer, das einem widerfährt, darin besteht, morgens überhaupt aufzuwachen.
Der weinerliche Held in Tea-Bag ist der mäßig erfolgreiche schwedischer Lyriker Jesper Humlin, der nie mehr als 1100 Exemplare eines Buches verkauft und von seinem Verleger gedrängt wird, endlich mal was Erfolgreiches zu schreiben, etwa einen Krimi. Der Dichter ziert sich, denn ihm geht es vorwiegend um sein Innenleben. Dass da eigentlich nichts ist, dass jeder, der im Roman auftaucht, sagt, die Gedichte seien schlecht und unverständlich, ist ein Witz am Rande.
Während einer Lese-Reise begegnet der Dichter seinem alten Kumpel Pelle. Pelle betreibt einen Box-Schuppen und kümmert sich um Flüchtlinge, legale wie illegale. Mit allem Enthusiasmus schlägt Pelle dem nörgelnden Dichter vor, einen Schreibkurs für Einwanderer abzuhalten.
Der Dichter, sonst eher mit der Frage befaßt, ob er ein Gedicht über Schleppnetze oder den menschlichen Willen verfassen soll, steht plötzlich mitten im tosenden Leben. Er begegnet "Tea-Bag", einer rätselhaften Afrikanerin, Tanja, einer aggressiven jungen Russin, und Leyla, einer dicken Libanesin. Diese drei werden ihm immer wieder ihre Geschichten erzählen, warum sie fliehen mußten, wie es ist, in einem Bordell gefangengehalten und vergewaltigt zu werden oder wie der Schwester das Gesicht mit Säure weggeätzt wurde, weil sie sich weigerte, einen bestimmten Mann zu heiraten. Der Dichter freut sich, denn er sieht in den Geschichten gutes Material für ein neues Buch.
Wie ihm Mankell das aus der Hand schlägt und wie Tea-Bag sich konsequent weigert, sentimental zu werden, wie die Mädchen niemals Opfer, sondern meistens starke, selbstbewußte Frauen sind - das ist das eigentlich Erstaunliche an Tea-Bag. Es ist kein Buch, das Mitleid erzeugen will. Es meint, mit seinen Protagonistinnen, dass gewisse Geschichten erzählt werden müssen. Damit die Menschen, die in diesen Geschichten stecken, nicht vergessen werden.
Am Ende, als der Dichter helfen will, als er sich vom maulenden Seelchen in einen Handelnden verwandelt, verschwinden die Mädchen. Sie sind sauer. Sie wollten nicht Objekt seiner Hilfe werden. Ihr Leben wird auf ewig in der Illegalität stattfinden: "Ich glaube, ich bin stärker als das graue Licht, das mich unsichtbar machen will. Es gibt mich, obwohl es mich nicht geben darf, ich bin sichtbar, obwohl ich im Schatten lebe", sagt die Frau "Tea-Bag" am Ende.
Tea-Bag ist kein politischer Roman. Mankell schreibt nicht über die "Festung Europa" oder juristische Feinheiten der Flüchtlingsgesetze. Einmal erklärt ein ausländischer Taxi-Fahrer, dass die Regierung leider nicht zuhöre, wenn die Flüchtlinge ihr erklärten, was notwendig sei. Jesper, im Fond des Taxis, ist etwas empört und sagt: Das müsse die Regierung aber schon selbst festlegen dürfen, was notwendig sei. Nein, sagt der Taxi-Fahrer freundlich, dass sei doch nicht besonders demokratisch, wo die Flüchtlinge von der Sache doch so viel mehr verstünden als irgendwelche Bürokraten, die noch nie in einem Container gereist seien.
Es gibt keine Lösung in Tea-Bag, kein richtiges Ende, keine Hoffnung auf Besserung. Das kleine happy-end, das Mankell anbietet, ist die Aussicht, dass Jesper Humlin keine Gedichte mehr schreiben wird.
Victor Lachner
Henning Mankell: Tea-Bag. Aus dem Schwedischen von Verena Reichel. Zsolnay, Wien 2003, 381 S., 24,90 ISBN: 3552052208