HIPPIES

Einfach Überleben

Amanda Taylors schreckliche Kindheit: »Nobody knows«

Am Anfang sitzt die 13-jährige Jessica nachts nackt in Nachbars Garten und sorgt sich mehr um ihre Barbie-Puppe als um sich. "Als ich 10 war, hatte ich Walter geliebt", sagt Jessica. Und dann erzählt sie, wie sie in diese Bredouille geraten konnte.
Eigentlich erzählt wohl Amanda Taylor, "eine junge Amerikanerin" wie der Klappentext andeutet, unter Pseudonym ihre eigene Geschichte, wie der Untertitel "Nach einer wahren Geschichte" verspricht. Vor allem aber erzählen Jessica und Amanda die Geschichte aus einer anrührend naiven Kinderperspektive. Die geht auch nicht kaputt, wenn gleich im nächsten Kapitel Jessicas Mutter als junges Mädchen beinahe vergewaltigt wird. Literarischer Kunstgriff und moralischer Schock, schonungsloser White-Trash-Realismus und unberührbare Mädchen-Seele machen aus dem verstörenden Fall eine richtige Fabel. Die wird man nicht gerade seiner Tochter zum Lesen geben, aber Freunden und großen Brüdern gern ans Herz drücken.
Jessica wächst bei ihrer Hippie-Mom auf, die drei Kinder von drei Männern hat und schon mal zum Kindergeburtstag den Joint rumgehen lässt. Das stinkt, ist aber spannend. Schon früh bemerkt Jessica, dass Jungs und Männer sie oft komisch angucken, aber Amanda sorgt dafür, dass kein erwachsenes Besserwissen die zunehmend katastrophalen Verhältnisse stört. Oft bleibt auch ganz unklar, was genau geschieht, weil Jessica ins Nebenzimmer gesperrt wird, wenn die Erwachsenen sich streiten.
Immer mehr fiese Kerle fummeln an Jessica herum, immer wieder spielt das Kind sein Unverständnis mit seinen Puppen nach. Und dann lernt sie Walter kennen, der wenigstens nett zu ihr ist.
Die Geschichte geht gut aus, mehr wird nicht verraten. Es gibt auch kein Fazit. Jessica/Amanda beschreiben einfach, wie ein kleines Mädchen die Welt erlebt und trotzdem Kind bleibt. Ein theoretisches allerdings, denn Jessica ist doch deutlich Amandas Kunstfigur, mit der sie über ihre eigene Kindheit schreiben kann, ohne ins therapeutische Stammeln zu kommen.
WING
Amanda Taylor: Nobody knows. Nach einer wahren Geschichte Aus dem Amerikanischen von Manfred Allié, Diogenes, Zürich 2007, 386 S., 19,90