REPORTER
Frankies Erkältung
Portraits und Beobachtungen von Gay Talese, einem der Pioniere des New Journalism
Der Untertitel der gesammelten Reportagen kann nicht im Sinne von Gay Talese sein. Denn der stets im eleganten Dreiteiler gekleidete Journalist hasst jegliche Effekthascherei und hat es trotzdem in New York bis nach ganz oben geschafft.
Talese kommt 1932 als Sohn italienischer Einwanderer in New Jersey zur Welt und schreibt mit 25 seine erste Reportage für die New York Times. Sein Thema sind die streunenden Katzen von Manhattan, worüber seine Kollegen nur die Nase rümpfen. Nach akribischer, nahezu besessener Recherche entdeckt Talese eine Typologie der Straßenkatzen: Er schreibt ehrlich fasziniert über den Alltag der nützlichen Tante-Emma-Laden-Teilzeitkatze, über die zutrauliche Bohemien-Katze sowie die Wildkatzen im Hafengebiet. Der Artikel erregt Aufsehen.
Seine weiterem Themen für eine der weltgrößten Tageszeitungen bleiben abseitig. So berichtet er über die freien Türsteher Manhattans, die keine feste Tür kontrollieren und je nach Andrang bei Events eingesetzt werden. Auch die nächtlichen Putzkolonnen in den Wolkenkratzern faszinieren ihn, während Talese als Parlaments-Reporter fast vor Langeweile stirbt. Im Laufe seiner Karriere bei der New York Times und später im Esquire interviewt er Stars so unaufgeregt, das sein Stil als "The fine art of hanging around" bekannt wird. Denn Talese hält nichts vom Sensationsgehalt des Originaltons und verzichtet auf Diktiergeräte. Lieber setzt er sich mit einem Gin Tonic aufs Sofa, lässt sein Gegenüber einfach reden und kritzelt kleine Pappen mit Notizen voll. Dabei sind Stars im Niedergang für ihn gehaltvoller, einfach weil sie sich mehr Zeit für das Interview nehmen. Aber auch ein nüchterner Sinatra mit einem unglamourösen Schnupfen reicht für ein Frankie Boy-Porträt der besonderen Art. Taleses Stil der zeitraubenden Recherche mit Blick auf augenscheinlich unwichtigen Details war wegweisend für den New Journalism. Im heutigen Zeitalter der Online-Ticker und schnellen Hypes liest sich das recht altmodisch. Leider.
Frank Krings
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