SCIENCE & POETIK
Tagungen und Nächte Fünf mal Wissenschaftler über sich unter sich; mit Toten, Zoten und Parabeln Arthur Koestler - wird hier nur erwähnt, weil er das Genre "Wissenschaftler-Kongreß-Roman" wenn schon nicht erfand, so doch mit "Die Herren Call Girls" den Story-Trick mehrheitsfähig machte, Theorie-Debatte mit Ringelpietz zusammenzufassen. Ganz wie Kongresse im wirklichen Leben. Fünf andere Autoren setzen die Tradition fort; als drei Krimis, drei Debüts, zwei Späße und je ein Fall von Literatur und Literatur der Arbeitswelt. Frigga Haug - ist Femi-Krimi-Lektrice und hat nach vielen klugen Nachworten zur Ariadne-Krimi-Reihe nun ihren ersten eigenen geschrieben. In der "Zweiten Reihe", die sich besonders der Aufklärung über besondere Lebensumständen widmen soll. In "Jedem nach seiner Leistung" ist das die Universität, in der ein toter Prof herumliegt. Ein anderer ermittelt drum rum, eine fast allein erziehende Mutter auch, und es mischen sich, sagt die Autorin: Liebe und Lernen und beißende Kritik der Hochschulreform im Zeichen des Marktes. Auh weh, eine Gewerkschafterin auf dem zweiten Bildungsweg liest sogar Gramsci ("wer so schreibt, daß ihn niemand lesen will, verrät das Volk") - und die positive Identifikationsfrau heißt Lore Schmitt-Heuer. Wow. Ob wohl der nächste Ariadne-Krimi den Mord an einer schreibenden Lektorin behandelt? David Lodge - ist einer unserer ganz Mittelgroßen. Deshalb dauerte es wohl auch ein Dutzend Jahre, bis aus dem Geheimtip und Englisch-Professor ein Haffmans-Hausautor wurde. Und sein Debüt-Roman über Literaturwissenschaft, Liebe und das Tagungs-Jet-Setting zum zweiten Mal in Deutschland als Hardcover herauskam. Inzwischen kriegen andere Romane Lodges schon wieder Taschenbuchauflagen; und "Kleine Welt"-Erstausgaben unter dem Titel "Schnitzeljagd" sind begehrte Mitbringsel auf Einstands-Parties frischer Professoren geworden. Weil es darin um frische Professoren geht, um Klugschnack und Unschuldsverlüste, Strip Tease und Tiefenhermeneutik, universitäre Riten und diese ganz besondere Erotik von Brille, Bauchansatz und auf jede Frage drei Antworten haben. Nur auf die eine nicht. Außerdem hätte ein Nebenheld am Ende beinahe eine Stewardess abgekriegt. Sowas hebt - mindestens mich. Ernst Wilhelm Händler - hat Philosophie gelernt. Was nicht hinreichend erklärt, wieso "Der Kongreß" so hölzern geschrieben ist. Und er ist kein Professor geworden, was zumindest verständlich macht, wieso seine Helden ernsthaft diskutieren müssen, ob die akademische Philosphie einen Einfluß auf die Menschen habe? Ob die Stuttgarter Spielart der Wissenschaftstheorie leer oder blind sei? Oder ob die beiden philosophischen Institute (ein neu-modisches, feuilletonierendes - ein alt-modernes, formal analytisches) zusammengelegt werden sollen? Da quietscht das Denkmodell. Und als im zweiten Teil etwas echte Welt ins Buch kommt (via Magengeschwür beim Helden, Verbrechen, Polizeiprotokolle und Krankenhausaufenthalt), ist einem Händlers Weltanschauung aber schon eh wurscht. Zumal die wirklichen Rekonstruktivisten auf Tagungen ein viel besseres Akademiker-Deutsch sprechen. D.J.H. Jones - stammt möglicherweise aus dem akademischen Milieu, schreibt aber ganz sicher die lustigsten Krimis darüber. "Bei Tagung Mord" etwa spielt auf derselben Literaturwissenschaftler-Tagung wie Lodges "Welt" - nur 20 Jahre danach. Mit weniger Sex und Wissenschaft, aber mehr Polizeiarbeit. Eigentlich ist es ein richtiger Krimi, bei dem nur zufällig alle handelnden und behandelten Personen Akademiker sind. Bis auf den Detektiv. Carola Schmidt schließlich - ist mutig. Sie fängt ihren ersten und nicht sehr guten Kriminalroman mit einem noch schlechteren an, in dem die Heldin liest. Statt im Mittelbau der Uni Bielefeld zu arbeiten. Dann wird ein Kollege nebenan umgebracht, düstre Schritte hallen durch die leeren Gänge, und eine verdrängte Vergangenheit erhebt ihr braunes Haupt: "Der Fall Heydemann" dreht sich um einen untergetauchten Nazi-Arzt, um überlebende Opfer und tote Verfolger. Die Heldin hobby-ermittelt und verliebt sich in den zuständigen Kommissar, aber der ist beim Showdown gerade auf einer Polizeifortbildungstagung. Doch nicht schlecht ausgedacht. WING
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D.J.H Jones: Bei Tagung Mord Aus dem Amerikanischen von Gunnar Kwisinski. Rotbuch Verlag 1995, 278 S., 16.80 DM Frigga Haug: Jedem nach seiner Leistung. Argument Verlag 1995, 220 S., 15.00 DM Ernst Wilhelm Händler: Kongreß. Frankfurter Verlagsanstalt 1996, 346 S., 42.00 DM David Lodge: Kleine Welt. Aus dem Englischen von Renate Orth-Guttmann. Haffmans Verlag 1996, 410 S., 39.- DM Carola Schmidt: Der Fall Heydmann. Neues Literaturkontor Bielefeld/Münster 1996, 160 S., 14.- DM |