Männer Tod und Tag Martin Suter geht auf Zeitreise zur Frau Es geht nur langsam los. Mit einem traurigen Mann, der aus dem Fenster guckt. Und einem anderen traurigen Mann, der Seltsames in seinem Garten treibt. Der eine, Buchhalter, beobachtet den anderen, Rentner, und beide planen bald einen Komplott, der in früheren Jahren in reiner SF oder einem wabernd phantastischen Roman abgehandelt worden wäre. Martin Suter, im Umgang mit Genremustern erfahren, bleibt ganz öde realistisch in einer spießigen Siedlung, und bei völlig normalen Menschen. Der Buchhalter hat vor Kurzem seine Frau verloren. Scheinbar grundlos wurde sie vor der Haustür erschossen. Die Polizei fand kein Motiv, keine Spuren, keinen Täter. Der Mann findet nicht mehr ins Leben zurück, lässt große Teile der Wohnung unverändert und bemerkt gerade wegen seiner Rückwärtsgewandtheit die Veränderungen in Nachbars Garten. Dort rekonstruiert der Rentner offenbar mühsam frühere Zustände der Vegetation. Die beiden freunden sich an, und plötzlich zitiert Martin Suter aus einem obskuren Antiquariat einen realen Phantasten herbei, und verstörende Dokumente aus dem Internet deuten an, es gebe überhaupt keine Zeit. Keine Vergänglichkeit. Nur Veränderung. Gelänge es, einen "früheren Zustand" in allen Einzelheiten "heute" wieder her zu stellen, dann "sei" der neue Augenblick identisch mit dem alten und die "Vergangenheit" sei wieder da. Der Rentner will so zwanzig Jahre zurück, zu einer Zeit, bevor seine Frau an Malaria starb. Der Buchhalter hilft ihm, weil er auf dem Weg die Chance sieht, wenigstens den Mord an seiner Frau aufzuklären. Beide Projekte sind kompliziert und verwickelt. Beide Männer steigern sich in ihre Besessenheit hinein. Und mit akribischen Beiseite-Szenen voller knapp aber glaubwürdig gezeichneter Nebenfiguren verweigert Suter jede klassische Spannung. Beschreibt lieber, wie schwierig es ist, den Schattenwurf eines Strauchs zu einem bestimmten Tag zu berechnen, und genau das Auto aufzutreiben, das damals links hinten auf dem Parkplatz stand. Trotzdem funktioniert das Porträt zweier Männer, die ihren Lebenssinn wieder haben wollen, auch um den Preis eines Mordes und einer großen Firmengeld-Unterschlagung. Wing
Martin Suter: Die Zeit, die Zeit. Diogenes, Zürich 2012, 296 S., 21,90
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