SCHLIMME JUGEND

Dämmern in der Provinz

Heinz Strunk über seine Tanzband-Jahre

Wenn Hamburg das Tor zur Welt ist, dann ist Harburg sowas wie der Notausgang. Das Hamburger Viertel am undankbaren südlichen Ufer der Elbe ist Ausgangspunkt der denkbar lahm beginnenden Vita vom Komiker, Musiker und nun auch Schriftsteller Heinz Strunk. Mit 23 wohnt der an hartnäckiger Akne leidende Heinz noch zu Hause bei Mutti, und schon fühlt man sich an die leidige Bausparkassen-Werbung erinnert: wie uncool!
Eines Tages im Jahr 1985 lernt er jedoch Gurki kennen, seineszeichens Sänger der Showband "Tiffanys". Heinz, der in seiner Jugend lieber Saxophon und Querflöte geübt hat als Mädchen anzugrabbeln, wittert seine Chance und wird prompt als "Tiffanys"-Bläser engagiert. Doch das schicke Rockstar-Leben findet woanders statt. Die fünfköpfige Tanzkapelle (alles natürlich hässliche Loser, inklusive Pickel-Heinz) düdelt ihr Schlager-Repertoir vornehmlich beschwipsten Schützenbrüdern und Hochzeitsgästen in den Dörfern zwischen Elbe und Lüneburger Heide vor. Die Abende klingen dann mit Spiegeleier-Kampfessen aus, und die Gagen werden in Spielhöllen verbraten; kein Sex, keine Drogen und erst recht kein Rock'n'Roll.
Eine triste Geschichte, heiter erzählt, kommentiert der Autor selbst seine buchgewordene Vergangenheitsbewältigung. Heinz Strunk, bekannt als Mitglied des Telefon-Verarsche-Trios Studio Braun, tut es seinem Kollegen Rocko Schamoni (Dorfpunks) gleich und gräbt seine Provinz-Wurzeln aus. Eines wird dabei schon nach den ersten Zeilen deutlich: Eitelkeit ist dem Mann fremd. Völlig schmerzfrei berichtet er über seine gescheiterte Nerd-Jugend, die sich logischerweise bis in die Dreißiger zieht. Nebenbei schildert der Hamburger die anderen hirn-, chancen- und formlosen Existenzen, die ihm während seiner Festzelt-Odyssee über den Weg laufen, plastisch wie kein Zweiter. Zwölf Jahre Freakshowgeschichte werden liebevoll rekonstruiert und verkrustete Wunden wieder aufgekratzt. Neben dem genial-ekligen Brachial-Humor, mit dem Strunk sein postpostpubertäres Mucker-Leben reflektiert, läuft fast unbemerkt ein leiserer, melancholischer Erzählstrang, der von seiner kranken, verwirrten Mutter handelt. Das Ende des autobiographischen Spitzenwurfs könnte man fast Kitsch nennen. Dabei vermag kaum ein anderer deutscher Komiker Ironie intelligenter zu verstecken.
Michaela Sommer
Heinz Strunk: Fleisch ist mein Gemüse. Eine Landjugend mit Musik. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2004, 255 S., 8,90 ISBN: 3499237113