SPACE OPERA
Karnickel mit Wumme
Charles Stross erzählt ein Weltraum-Märchen
Literarische Moden besitzen den Vorteil aller Trends: sie gehen vorüber. So sind in den 80ern und 90ern die Cyber- und Neo-Punks fröhlich durch die ehrwürdige Science Fiction gestürmt und haben den Laden ziemlich aufgemischt. Heute herrscht wieder Ruhe im Bau, übrig geblieben sind eine frische Erzählweise, viel technisches Gedöns - und die gute alte Space Opera, das Kerngeschäft der Branche.
Die hat allerdings nichts mehr mit dem alten Waffen- und Heldengedröhn à la Doc Smith zu tun, die Implantate der Space Kids sind als literarische Hinterlassenschaft noch präsent. Und es rasen auch nicht mehr ununterbrochen Schiffe überlichtschnell durchs All; die heutigen Autoren sind einerseits phantasievoller als es die alten Heldengarde je war, andererseits versuchen sie sich auf dem Gebiet der Physik auf dem Laufenden zu halten: Man verreist heute mit Singularitäten - vulgo: Schwarze Löcher - im Bauch, kommuniziert per Quanten-Spin und läßt nanotechnisch erzeugtes Manna vom Himmel fallen.
Charles Stross' Debut-Roman Singularity Sky ist ein weiteres gelunges Beispiel dieses neuen alten Genres. Einerseits gibt es auf einer fernen Kolonie eine am zaristischen Russland orientierte Kolonie (samt bolschewistischen Revolutionären; sehr komisch). Dort taucht plötzlich eine Erscheinung am Himmel auf, die sich "Das Festival" nennt und alle Wünsche erfüllt. Das gibt natürlich ein schönes Chaos.
Andererseits gibt es die Rest-Erde. Ohne Vorwarnung wurde sie im 21. Jahrhundert um neun Zehntel ihrer Bewohner gebracht, als eine andere Erscheinung namens "Das Eschaton" auftauchte und die Menschheit warnte, nicht vermittels Zeitreise die Kausalität des Universums durcheinander zu bringen. Die Rest-Erde, ein wundersam anarchischer Haufen, regiert von der UN (mit 70 Mitgliedern im Sicherheitsrat!), sorgt sich nun um die ferne Kolonie. Weshalb Stross 300 Seiten lang eine Armada in Richtung "Das Festival" in Bewegung setzt. Und am Ende zieht ein weißes Kaninchen mit Maschinengewehr durch eine genetisch veränderte Landschaft auf der Suche nach einem in Bernstein eingeschlossenen Herzog.
Natürlich ist das der pure Eskapismus. Aus der direkten Gesellschaftskritik hat sich diese Literatur verabschiedet. Aber sie macht Spaß. Weil sie in einer klugen und witzigen Mischung aus Jules Verne, William Gibson und Robert Heinlein spannende Geschichten erzählt. Der Mix literarischer Moden war immer die Stärke der SF.
Alex Coutts
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